Der Förderantrag
T Lola Randl
K Domenico Carnimeo
T Lola Randl
K Domenico Carnimeo
Niemals, nie wieder würde er einen Fördermittelantrag stellen. Sonst hätten sie sich den ganzen Aufwand genauso gut sparen können. Sie waren nicht aufs Land gezogen, um immer noch mit genau denselben Leuten zu tun zu haben, die genau wie sie an denselben kreativen Ideen herumdokterten und sich auf dieselben Fördermittel bewarben (darauf konnte man sich verlassen) – mit denselben Formulierungen, denselben Floskeln und Worthülsen, die ihnen allen schon längst zuwider waren –, von denen sie aber gezwungen waren, ihren Unterhalt zu bestreiten. In den Cafés und in den Kneipen, bei Einladungen zum Essen, bei Kindergeburtstagen drehten sich die Gespräche meistens um diese oder jene Fördermittel, die man beantragen könnte, die abgelehnt wurden oder kommen würden. Obwohl – hatten sich darum gedreht, müsste man besser sagen, seit der konservative Senat die Mittel stark eingedampft hatte, hielten sich die meisten zurück, ihre besten Fördermittelquellen auszuposaunen.
Man könnte annehmen, er hätte Bedenken gehabt, dass es so nicht mehr weitergehen würde, aber das stimmt nicht, höchstens ein etwas mulmiges Gefühl. Eigentlich hatte er ein ganz gutes Gespür für die Gedanken und Ansätze, die vielversprechend waren. Also immer noch. Im Gegensatz zu vielen anderen machte es ihm sogar Spaß, die Antragstexte hin- und herzuwälzen.
Wenn es aber überhaupt jemals wieder in Betracht käme, dass sie noch mal einen Förderantrag schreiben würden, dann höchstens für was ganz Frisches, für etwas Echtes. Um was ganz Neues, Frisches, Echtes zu beantragen, mussten sie aber jegliche Gedanken loswerden, die auch nur annähernd um einen Förderantrag kreisten, und Gespräche mit anderen, die an denselben Förderanträgen saßen, waren sowieso tabu.
Kleinbauer war der falsche Ausdruck für das, wie ihr Leben jetzt zu beschreiben wäre. Das war auch schon so belegt. Selbstversorger war zu ideologisch. Einen Bauerngarten hatten sie, der die Versorgung mit Obst, Gemüse und Beeren weitgehend sicherte. Genau wegen dieser etwas größeren Vision vom Leben waren sie rausgezogen. Und dann hatte sich auch schnell gezeigt, dass die Sache mit den Förderanträgen immer etwas eher Nebensächliches gewesen war, es hatte in ihren Vorstellungen vom Leben nie eine wirklich tragende Rolle gespielt und sollte jetzt erst recht nie wieder eine Rolle spielen. Sie waren sozusagen kulturschaffende Kleinstbauern, nahmen teil am echten Leben, mit echten Nachbarn, die echte Berufe hatten, Maurer, Fahrer, Krankenpfleger:innen, wie sie sich das von der Stadt aus vorgestellt hatten, während sie noch von Projekt zu Projekt getaumelt waren. Hier, auf dem Land, kamen sie mit diesen Nachbarn ins Gespräch, hörten ihnen zu, lernten verstehen, die Stille, die Weite, das wahre Leben. Mit beiden Händen in der Erde.
Für neue Projekte auf dem Land, soziale, politische und gemeinschaftsbildende, würden sie um einen Förderantrag trotzdem nicht herumkommen. Hier draußen war das aber auch etwas anderes. Wenn man gerade dabei war, das alte Scheunendach abzudecken (die alten Biberschwanzziegel, die noch keinen Sprung hatten, wurden selbstverständlich eingelagert), war es sogar irgendwie witzig, die ersten Sätze eines unvermeidbaren Förderantrags im Kopf hin- und herzudrehen. Man konnte nur hoffen, dass nicht auch noch andere Kulturschaffende, die ihr Zentrum aufs Land verlagert hatten, gerade dasselbe taten. Die, die es ebenso wenig noch ausgehalten hatten und sich ebenfalls auf den Weg gemacht hatten, aufs Land, in dieselben verlassenen Gehöfte, die plötzlich nicht mehr verlassen waren. Am Anfang war man froh und man konnte auch froh sein, dass es andere gab, mit denen man das Schicksal teilen konnte. Der Mensch ist ein soziales Wesen, das sein Dasein teilen möchte, mit anderen, die ähnliche Probleme haben, und merken, dass das mit dem echten Leben auch nicht so ganz automatisch geht und man besser erst mal noch einen letzten Förderantrag stellt.
Es war ja auch irgendwie schön, wie sie hier so saßen, die aufs Land Geflüchteten, im selben Kreis wie zuvor in der Stadt, nur dass die Heizung hier nicht funktionierte und die Fenster klemmten, es machte allein deswegen schon viel mehr Spaß, unablässig über den Förderantrag zu reden und Leute mit einzubinden, die ihre Nachbarn waren. Manchmal hatte man das Gefühl, dass der Förderantrag das Einzige war, das alles noch zusammenhielt, dass der Förderantrag das einzige wirklich Echte war, das es noch gab.
Um etwas zu bewegen, etwas zu verändern, muss man wandern, durch ein tiefes Tal, oder, um bei dem Bild zu bleiben, durch einen Dschungel – den Förderantrags-Dschungel. Vielleicht könnte ja genau davon auch der Förderantrag handeln?
Das Gute war, dass es recht viele Programme gab. Programme, die Gelder auslobten, um die Missstände, die es auf dem Land zweifelsohne gab, zu beheben. Und das zweite Gute: Es waren gar nicht sooo viele Leute, die so einen Förderantrag überhaupt ordnungsgemäß stellen konnten. Wer nicht schon mit solchen Anträgen zu tun gehabt hatte, vielleicht in einer Agentur eine Hospitanz oder ein Praktikum gemacht hatte, der hatte quasi keine Chance, einen Förderantrag ordnungsgemäß zu stellen. Im Grunde, wenn man es so betrachtet, konnten die Landleute, also die, die schon vorher da waren, eigentlich froh sein, über die Neuen aus der Stadt. Wer sonst sollte denn die Anträge stellen und sich die Projekte ausdenken, über die das Geld, das ja gerade für den ländlichen Raum zur Verfügung steht, wirklich dort ankommt?
Manchmal schaute er vom Bildschirm auf, hinaus über die Felder hinter dem Haus. Seit Stunden kreisten dort die Monstertraktoren der Agrargesellschaft, schwerfällig, unablässig, über die endlosen Flächen. Jedes Jahr wurden die Maschinen größer, jedes Jahr mussten die Hecken an den Feldwegen etwas weiter zurückgeschnitten werden, bis sie am Ende kaum noch vorhanden waren. Er hatte anfangs gedacht, sie kämen nur zur Aussaat oder zur Ernte, das ließe sich ertragen. Aber es war immer etwas auf den Feldern zu tun: Granulat, Pestizid, Düngemittel, irgendeine flüssige Substanz, die der Leiter der Agrargesellschaft aufbringen ließ. Tagelang rollten die Traktoren über das verdichtete Erdreich, begleitet von Lastwagen, die Nachschub lieferten, Agro-Diesel, Spritzmittel, fungizidbehandeltes Saatgut oder was auch immer.
Manchmal fragte er sich schon, ob es überhaupt der richtige Weg war, die Photovoltaikgegner zu unterstützen, die nicht wollten, dass die weitläufige Natur mit Panels zugepflastert würde. Gerade hier, in einer der schönsten Ecken. Aber immer nur Gift und künstliche Düngemittel? Dann kam der Leiter der Agrargesellschaft in seinem amerikanischen Pick-up angefahren, um zu sehen, was er noch auf den Feldern verteilen lassen könnte. Der Mann, der immer einen Grund zum Lächeln hatte. Inzwischen war er auch Leiter der neu gegründeten Erneuerbaren-Energiegesellschaft, die an neue Subventionen rankommen wollte. Was war wirklich wichtig? Partizipativ, rural, Gemeinschaft stärken – nein, besser Community. Commoning. Was mit Tanz ist gut, oder Musik, die versteht jeder. Vielleicht ein DJ aus der Stadt? Ich kenn da einen, der ist ganz geil. Und ziemlich bekannt. Der würde bestimmt mal rauskommen, für ein paar hundert Euro. Sonst, wenn der bei Events auflegt, kriegt der tausend.
Vielleicht musste man einfach sein Wesen mit dem Förderantrag in Einklang bringen, den Förderantrag als den Lebensentwurf sehen, den eigentlichen Grund, aus dem man hier ist, oder zumindest das, was einem das Überleben sichert. Oder man lebt das Leben so, dass es als solches schon als Förderantrag durchgeht. Dann würde man Mittel bekommen, ganz einfach dafür, dass man da ist. Am richtigen Ort, zur richtigen Zeit. Die Luft atmet, den Traktoren zusieht und sich seine Gedanken macht. Die Kreatur, in seinem Fall der ehemalige Kulturschaffende auf dem Land, die allein durch ihre Existenz förderwürdig ist.
Wahrscheinlich müsste man einen Verein gründen. Einen Verein, dessen einziger Vereinszweck es ist, Fördermittel zu beantragen. Geht das überhaupt? Ein Förderantragsverein? Gemeinnützig wäre der auf jeden Fall.