Text von Sandeep Jauhar 
Kunst von Sara Rabin 

Lesedauer: 3 min

»Es bricht einem das Herz« ist nicht in allen Fällen eine Metapher. Manchen Menschen bricht das Herz buchstäblich. Der New Yorker Kardiologe Sandeep Jauhar erklärt, was bei einem gebrochenen Herzen passiert – und ob es wieder heilt.

Vor ungefähr dreißig Jahren wurde die Tako-Tsubo-Kardiomyopathie entdeckt, auch Broken-Heart-Syndrom genannt: eine Erkrankung, bei der das Herz als Reaktion auf extremen Stress oder tiefe Trauer, beispielsweise nach einer Trennung oder dem Tod eines Ehepartners, akute Schwächeerscheinungen zeigt. Der Herzmuskel erscheint auf dem Echokardiogramm wie erstarrt und bläht sich häufig in die charakteristische Form eines Tako-Tsubo auf, einer japanischen Tintenfischfalle in Form eines Krugs mit breiter Grundfläche und schmalem Hals. Die Patientinnen – unerklärlicherweise fast immer Frauen – entwickeln Symptome, die denen eines Herzinfarkts gleichen. Es können Brustschmerzen oder Atemnot auftreten, manchmal sogar ein kardiogener Schock. Obwohl man nicht sicher weiß, wodurch dieses Syndrom ausgelöst wird, verschwindet es oft innerhalb einiger Wochen wieder. In der akuten Phase aber kann es Herzversagen sowie lebensbedrohliche Herzrhythmusstörungen auslösen und sogar zum Tod führen. Betroffene Patient:innen müssen unter Umständen ähnlich wie bei einem Herzinfarkt intensivmedizinisch versorgt werden, damit sich ihr Herzrhythmus stabilisiert.

Das Herz ist wie kein anderes Organ mit sehr starker metaphorischer Bedeutung aufgeladen.

Es war zwei Wochen her, dass der Ehemann einer meiner älteren Patientinnen verstorben war. Sie trauerte, konnte die Situation aber gut annehmen. Sie war beinahe etwas erleichtert. Er hatte an einer langen schweren Krankheit gelitten: Demenz. Dann, eine Woche nach der Beerdigung, sah sie sich ein Foto von ihm an. Sie weinte. Es folgten Schmerzen in der Brust, sie bekam Atemnot, die Halsvenen schwollen an, Schweiß trat ihr auf die Stirn, und obwohl sie saß, ging ihr Atem keuchend – alles Zeichen einer Herzinsuffizienz. Auf dem Ultraschall zeigte sich, dass ihre Herzleistung bei weniger als fünfzig Prozent lag. Bei den übrigen Tests war jedoch alles in Ordnung. Keinerlei Anzeichen von verstopften Arterien. Zwei Wochen später war ihr emotionaler Zustand wieder stabilisiert. Ebenso ihr Herz, wie der Ultraschall bestätigte. 

Das Herz ist wie kein anderes Organ – wie kein anderes Objekt überhaupt – mit sehr starker metaphorischer Bedeutung aufgeladen. Es ist ein überzeitliches Symbol für unser Gefühlsleben. Man hielt es früher für den Sitz der Seele, für das Gefäß unserer Gefühle. Das englische Wort »emotion« leitet sich vom französischen Verb »émouvoir« her, das »erregen«, »rühren« bedeutet, und so ist es wahrscheinlich nur logisch, dass man Gefühle mit einem Organ in Verbindung bringt, dessen Hauptcharakteristik seine aufgeregt klopfende Bewegung ist.  Die Symbolhaftigkeit des gefühlsbewegten Herzens besteht bis heute. Fragt man nach dem Bild, das die Menschen vorrangig mit der Liebe verbinden, wird am häufigsten das Valentinsherz genannt. Herzen erschienen ab dem dreizehnten Jahrhundert in Darstellungen von Liebenden auf Gemälden. Mit der Zeit wurden die Herzen rot ausgemalt – die Farbe des Blutes als Symbol für Leidenschaft. Später wurde der herzförmige Efeu, bekannt für seine Langlebigkeit und gern auf Gräbern gepflanzt, zum Sinnbild für ewige Liebe. Diese Parallele zwischen dem Herzen und der Liebe überstand alle Veränderungen der modernen Zeit. Als der Herzinsuffizienz-Patient Barney Clark am 1. Dezember 1982 im US-Bundesstaat Utah das erste künstliche Herz eingepflanzt bekam, fragte seine Ehefrau die Ärzte: »Wird er mich auch weiterhin lieben können?«

Heute wissen wir, dass das Herz nicht der Sitz der Liebe oder anderer Gefühle ist. Die Menschen früher irrten sich. Doch zeigt sich uns mehr und mehr, dass die Beziehung zwischen dem Herzen und den Gefühlen eine enge, zutiefst persönliche ist. Unsere Gefühle entstehen zwar nicht im Herzen, aber es reagiert äußerst sensibel auf sie. Unser Gefühlsleben ist gewissermaßen in unser Herz eingeschrieben. Angst und Trauer beispielsweise können schwerwiegende Herzschädigungen auslösen. Diejenigen Nerven, die vegetative Vorgänge wie den Herzschlag steuern, können Kummer spüren und übertriebene Kampf- oder Fluchtreaktionen triggern. Diese wiederum signalisieren den Blutgefäßen, sich zu verengen, was das Herz rasen lässt, den Blutdruck in die Höhe treibt und zu Schädigungen führen kann. Es gibt also immer mehr Hinweise, dass unser Herz ausgesprochen empfindlich auf unseren emotionalen Haushalt reagiert – auf unser metaphorisches Herz, wenn man so will. 

Unsere Gefühle entstehen zwar nicht im Herzen, aber es reagiert äußerst sensibel auf sie.

Schon lange sind bei Menschen, die durch emotional schwierige Phasen gehen – quasi einen Aufruhr im metaphorischen Herzen erleben –, krankhafte Herzsyndrome bekannt. Im frühen zwanzigsten Jahrhundert fiel dem Biostatistiker Karl Pearson, der Grabinschriften auf Friedhöfen untersuchte, auf, dass Eheleute oft nur ein Jahr nacheinander sterben. Diese Entdeckung unterstreicht, was wir heute als erwiesen betrachten: Ein gebrochenes Herz kann einen Herzinfarkt auslösen; lieblose Ehen können zu chronischen und akuten Herzkrankheiten führen. Eine Studie aus dem Jahr 2004 unter dreißigtausend Patient:innen aus zweiundfünfzig Ländern ergab, dass psychische Faktoren wie Depressionen und Stress ähnlich starke Risikofaktoren für Herzinfarkte und hohen Blutdruck darstellen wie Diabetes. Die Tako-Tsubo-Kardiomyopathie trat bei Patient:innen in einer Vielzahl von stressreichen Situationen auf wie öffentlichem Sprechen, Pechsträhnen beim Glücksspiel, häuslichen Auseinandersetzungen und sogar bei einer Überraschungsparty anlässlich eines Geburtstags. In Verbindung mit chaotischen gesellschaftlichen Situationen wurden sogar »Ausbrüche« des Syndroms beobachtet, zum Beispiel nach Naturkatastrophen. 2004 verwüstete ein starkes Erdbeben ein Gebiet auf der größten Insel Japans. Neununddreißig Menschen kamen ums Leben und mehr als dreitausend wurden verletzt. Kurz nach dieser Katastrophe fanden Forscher heraus, dass es einen Monat nach dem Erdbeben in der Gegend einen vierundzwanzigfachen Anstieg der Zahl von Tako-Tsubo-Fällen im Vergleich zu einem ähnlichen Zeitraum im Vorjahr gab. Es bestand eine enge Korrelation zwischen den Orten, an denen diese Fälle auftraten, und der Stärke des Bebens dort. Fast alle Betroffenen lebten nahe dem Epizentrum. 

Interessanterweise kann die Tako-Tsubo-Kardiomyopathie auch nach einem schönen Erlebnis auftreten, aber hier reagiert das Herz anders: Es bläht sich eher in der Mitte auf und nicht an seiner Spitze. Warum verschiedene emotionale Auslöser sich in unterschiedlichen kardialen Veränderungen ausdrücken, bleibt ein Geheimnis. Es erscheint wie eine Hymne auf die antiken Philosophen, wenn wir trotz unseres heutigen Wissens, dass unsere Gefühle nicht im Herzen lokalisierbar sind, dennoch anerkennen, dass das biologische Herz mit seinem metaphorischen Pendant auf verblüffende und geheimnisvolle Weise in Übereinstimmung ist.

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