Lebe lieber unverpaart

Text von Anja Rützel
Kunst von Jill Senft

Lesedauer: 7 Min.

Die Welt sei so viel schöner zu zweit – die­ses Credo bekommen allein lebende Menschen tagtäglich zu hören und, schlim­­mer noch, zu sehen. Doch was genau ist eigentlich als Paar besser? Was ist, wenn ein Mensch gar keine »bessere« Hälfte will, weil er bereits das beste Ganze ohne einen zweiten Menschen ist? Vielleicht wäre es an der Zeit, das Ideal der Zweisamkeit neu zu justieren.

Die Gummibärchen-Pärchen haben mich radikalisiert. Zwei Dropstiere, eins sauer, eins süß, die man in der Haribo-Fabrik an ihren Armen zur ewigen Duo-Existenz verschmolzen und verschmacklicht hat, wer denkt sich so etwas Grausames, perfide Paarpropagandistisches aus? Wild gemacht hatten mich vor dieser neuerlichen Entdeckung freilich schon die provozierend schmalen Pritschenbetten in sogenannten »Einzelzimmern«. Die Werbung für Fernet Branca, früher von mir mal gern getrunkener Galligtrunk, die kurz vor Silvester ­unverpartnerte Menschen verhöhnt: »Dinner for One ist bei dir jeden Tag. Life is bitter.« Der frei erfundene Konsum-Ankurbelungsfeiertag »Singles Day«, der mit seinen Rabatten und Sonderangeboten suggeriert, man müsse mit dem überstürzten Kauf von Retinol-Superbooster-Cremes und wulstigen Vetsak-Sofas die traurige Tatsache überspielen, dass man darauf, einsam gesalbt, dann doch wieder alleine liegen würde (eine Frechheit außerdem, dass an diesem Tag trotz des programmatischen Titels auch Paare mitshoppen dürfen). Die Trash-TV-Sendung »Love Island« mit ihrem unverhohlen single­feindlichen Reglement, dass von der Fummel-Insel und aus der Sendung fliegt, wer es nicht schafft, sich rechtzeitig zur regelmäßig abgehaltenen »Paarungszeremonie« zu »vercoupeln«, überhaupt regt mich der generelle Pärchenfetisch in meinem doch eigentlich heiß geliebten Trash-TV-Genre auf. Die Grenzaufpasser, die mich bei der Einreise in die USA dazu zwingen, plausible Erklärungen zu erfinden, warum, du liebe Güte, ich denn alleine unterwegs sei – ein von mir erfrischend ehrlich angelegtes »I don’t like people« wurde seinerzeit in Miami leider nicht sehr goutiert.

Ein Hauptstudium der Jugend sollte sein, die Einsamkeit ertragen zu lernen, weil sie eine Quelle des Glückes und der Gemütsruhe ist

- Arthur Schopenhauer

Wenn man als Frau ohne Partner oder Partnerin durchs Leben geht, ist das irre anstrengend. Nicht deshalb, weil man für sich den fehlenden Zweitmenschen aufwendig kompensieren müsste, sondern weil man den anderen dauernd versichern muss, dass dieser Einzelzustand wirklich kein Grund für Sorge, Mitleid oder Hohn ist. Als sei das Paarwesen der von irgendeiner mindestens göttlichen Existenz verbriefte Normalzustand und eben keine künstliche Konstruktion wie die verklebten Gummibärchen-Pärchen der Naschwerkfirma Haribo. Meistens könnte mir das nicht egaler sein, aber manchmal möchte ich mir gern zehn oder besser gleich zwanzig Tüten davon kaufen – nicht um sie, verzweifelt wegen meiner Partnerlosigkeit, alle auf einmal aufzufressen, auf dass sich die Leere in mir mit Glibbertierchen füllte. Sondern um die Pärchenbärchen im Akkord auseinanderzubeißen und als sodann befreite Einzelbärchen wieder auszuspucken, in ein ganz und gar selbstbestimmtes Leben.

Bestimmt sind viele Beziehungen ganz toll. Erfüllend, einander fordernd, aber vor allem auch fördernd, warm und wohlwollend. Ich sehe in meinem großzügig gefassten Bekanntenkreis und aus meiner freilich sehr eingeschränkten Perspektive (ich schleiche mich ja nicht heimlich in Vorgärten oder linse durch Jalousien) aber nur ungefähr eine oder zwei, bei denen ich denke: Ach ja, das ist sicher schön. Dafür denke ich sehr oft: lieber nicht.  Das ist, ehrlich, kein Fall von zu hoch hängenden Trauben, sondern von aufrichtigem Schaudern. Die meisten Beziehungen, die ich aus eigener Anschauung kenne, ähneln in der Von-außen-Draufschau nicht sehr ausgewogenen Kosten-Nutzen-Listen, die, wären sie Anlagefonds, niemand unterschreiben würde, der klaren Verstandes ist. Bei vielen Paaren ist mir komplett rätselhaft, warum die Beteiligten denken, zusammen ein besseres Leben zu haben als alleine, oder das zumindest glaubhaft vorschützen. Das bisschen garantierter Geschlechtsverkehr allein kann es ja nicht sein. Womöglich hat es etwas damit zu tun, was der Jesuitenpater Michael Bordt in einem kleinen Bändchen aufgeschrieben hat: »Die Kunst, sich selbst auszuhalten« – darauf haben womöglich die meisten Menschen einfach keine Lust und ziehen lieber noch jemand anderen mit ins Elend, das ist meine These.  Und folklorisieren dieses Arrangement dann mit all den Dingen, die man unter dem Hashtag #Couplegoals auf Instagram anschauen kann: all die Patschpfötchenhalterei, Plüschtiergaben mit Herzapplikation, Urlaubsknutschbilder mit unverschuldet hineingezogenen Delfinen, Schuhpartnerlook wie bei den Schlümpfen, koalabärhaften Umklammerungen selbst beim Billardspielen. Nee. Macht ruhig, aber gerne ohne mich. Früher hatte ich tatsächlich ganz normale Beziehungen, langjährig, was man halt so »ernsthaft« nennt. Es gab kein traumatisches Erlebnis, nicht die ganz große Verletzung, kein pathetisches Abschwören von der Männerwelt, nur ein sich immer weiter in mir breitmachendes »Wozu? Es lohnt nicht«.

LEBE...

Dass ich damit angeblich von der Norm eines Idealbilds abweiche, dass es nicht im Gegenteil als außergewöhnlich angesehen wird, wenn jemand einen anderen Menschen trifft, der so gut zu ihm passt, dass er für ihn oder sie die Freuden und Freiheiten des Alleinlebens aufgeben will, sondern dass das wirklich als Regelfall gelten soll – es kommt mir merkwürdig vor. War aber wohl schon immer so, lese ich im wunderbaren Buch »Spinster. Making a Life of One’s Own« von Kate Bolick. Auch die Autorin lebt allein und schreibt ­anhand von ihr bewunderter Solofrauen eine kleine Kulturgeschichte dieser Lebensidee. Die beziehungslose Frau, schreibt sie, war immer eine gesellschaftliche Anomalie, ein abweichlerisches Wesen: mal herausragend mildtätig wie Florence Nightingale oder Mutter Teresa, mal exzentrisch wie Mary Poppins oder Holly Golightly, in Ausnahmefällen auch kämpferisch und furchtlos wie Johanna von Orléans oder Wonder Woman.
»Spinsters«, das englische Äquivalent zur »alten Jungfer«, war dabei im Mittelalter sogar eigentlich ein Kompliment. Eben schlicht die Bezeichnung für jemanden, üblicherweise eine Frau, die einfach gut spinnen konnte – und deshalb finanziell unabhängig war. Zu diesen Zeiten gab es nicht viele Möglichkeiten, um das zu erreichen. Später wurde das Wort als Bezeichnung für alle Frauen erweitert, die »frei« in eine Ehe gingen, also auch finanziell unabhängig und tatsächlich aus freiem Willen, nicht aus sozialen Zwängen oder Versorgungsdruck. Eben Frauen, die nach Virginia Woolf einen »Room of their own« besaßen und sich auch Einsamkeit hätten leisten können. Ein schrecklicher Gedanke, dass Alleineseindürfen für so viele Frauen tatsächlich Luxus war – und es vielerorts auch heute noch ist. Ganz grob wirtschaftlich gesehen, aber auch im gesellschaftlichen Blick: Ständig ist da die unausgesprochene Forderung, sich dafür erklären zu müssen, warum man das so haben will, dass so ein Leben tatsächlich auch möglich ist, nicht als Übergangszustand, sondern als Wunschdasein. Eben genau das, was die Autorin Neith Boyce schon 1898 in ihrer Kolumne »The Bachelor Girl« für die amerikanische Vogue schrieb – eine überraschende Rubrik für ein Frauenmagazin, das damals wie heute nicht unbedingt die Speerspitze des Feminismus darstellte. Boyce erzählte darin Geschichten einer unverheirateten, zufriedenen Frau. Ihr Ziel: nicht nur ein unabhängiges, glückliches Leben zu führen, sondern etwas viel Grundlegenderes, Existenzielles – »to convince the world that she was possible«.

LIEBER...

»Wenn eine Frau in Ruhe und Frieden leben und ihr Haus ordentlich halten will, ohne dass jemand alles durcheinanderwirft, und Marmelade kochen und Duftpotpourris aus Rosenblättern herstellen will und am Fenster sitzen und feine Nähte sticken will, warum sollte sie das nicht tun?«, schreibt Boyce. »Es gab doch immer genug, die gerne heiraten und den Fortbestand der Rasse sichern wollen … Wenn eine Frau gerne mit Worten spielt und mit ihnen Muster und Bilder malt, und sich selbst versorgte und niemandem zur Last fiel, und sich ihres Lebens erfreute, ohne ein Rudel brüllender Kinder um sie herum, warum sollte sie das nicht tun?« 

Gute einhundertzwanzig Jahre später ist diese Frage immer noch offen. Am aggressivsten machen mich die kleinen, beiläufigen Wanzenbisse aus dem Vermittelndenlager, die ich inzwischen immerhin seltener spüren muss als früher. Warum ist es sozial gesehen völlig akzeptabel, auf Partys oder bei anderen oberflächlichen Gesprächsgelegenheiten zu thematisieren, warum man eigentlich »immer noch« alleine sei (und überhaupt von vornherein einmal davon auszugehen, das sei ein Zustand, der garantiert nicht dauerhaft gewünscht sei)? Wie man denn eigentlich den-und-den fände oder was einen an diesem-und-jenem jetzt schon wieder nicht gepasst habe? Warum darf man aber als Single umgekehrt in heiterer Plauderrunde nicht nachfragen, warum sie denn eigentlich immer noch mit ihm zusammen sei? Ob sie wohl fürchte, sie kriege keinen besseren mehr ab, ob sie Angst davor habe, allein zu sein, oder ob beide ernsthaft glauben, die aktuelle Verbindung sei die bestmögliche Paarung, in der sie potenziell landen könnten?

Aber nein, das würde als unverschämt und grenzenbulldozernd gelten, so berechtigt ich diese Nachfrage oft fände, und so hocken die Paare also ungestört weiter zusammen auf ihrem hohem Beziehungsross, eine:r umklammert die oder den anderen, wie damals die Paare auf dem Coldplay-Konzert, in das ich umständehalber geraten war: Um mich herum lauter schwer manövrierbare, verpaarte Doppelkekse, sie vor ihm stehend, er ihre Hüften haltend, die ärgerlich wurden, wenn ich – als Einzelmensch deutlich beweglicher – versehentlich kurz in ihrem Blickfeld stand.

UNVERPAART.

Wollen sie das wirklich alle genauso haben, frage ich mich manchmal, oder glauben sie nur, das wollen zu müssen, weil man es ihnen von Anfang an so eingetrichtert hatte? Mich haben Serien wie »Beverly Hills, 90210« und »Dawson’s Creek« immer misstrauisch gemacht, dauernd gab es in diesen Gruppen angeblicher Freund:innen neuen Grund für Ärger und Zerwürfnisse, und zwar so gut wie immer ausgelöst von irgendwelchen Beziehungsscharmützeln. Wie gut hätten Brenda und Kelly sein können, hätte es Dylan nicht gegeben! Warum sah das nur keiner? »Ein Hauptstudium der Jugend sollte sein, die Einsamkeit ertragen zu lernen, weil sie eine Quelle des Glückes und der Gemütsruhe ist«, schreibt my Homeboy Schopenhauer. Aber wie soll sie das lernen, wenn es so gut wie keine Role-Models dafür gibt? Eine lässige, unangestrengt bindungslose Frau – nicht verwitwet, nicht tindernd, einfach alleine und nicht sonderlich scharf darauf, daran etwas zu ändern – kann man in der Mainstream-Popkultur lange suchen.

Dabei ist es doch eigentlich komplett plausibel, dass Zusammensein komplizierter und anstrengender ist. Der Mensch weiß (wahrscheinlich) mehr über die Welt und versteht das Leben besser als jedes andere Tier, aber dieser Erkenntnis, die doch zwangsläufig kommt, wenn wir ganz ehrlich zu uns sind, versperrt er sich meist: dass es unmöglich ist, jemals wirklich vollständig mit einem anderen Wesen verbunden zu sein, weil man eben nicht in seinem Hirn, seinem Bewusstsein sein kann. Es gibt Grenzen der Verbundenheit, das müssen auch die ärgsten Kitschbarone und Schmusesymbiontinnen einsehen. Und doch weigern sie sich halsstarrig einzusehen, dass eine Beziehung ganz automatisch limitierend ist.
Klar, geteilte Freuden mögen auch bereichernd sein. Ich gebe zu, dass mein Begleiter, damals in New York, etwa drei Stunden duldsam zuschaute, wie ich begeistert am Straßenrand stand und der jährlichen Verkleidete-Hunde-Parade des größten Tierheims der Stadt zujubelte, die ich bei der Reiseplanung dank meiner jahrelang trainierten Rechercheskills ausfindig gemacht hatte (mit Mensch-Hund-Lookalike-Wettbewerb, zu gut!). Aber es ist auch wahr, dass ich mir auf derselben Reise die geführte Tour durch Chinatown verkniff, auf der man unter Anleitung eines examinierten Tierpräparators in den Mülltonnen der Chinarestaurants nach brauchbaren Tierteilen tauchte, die man dann zu einem Patchwork-Mutantentier zusammenflicken würde. Leider grauste meinem Freund davor. Es war eine Offenbarung, als ich mich Jahre später – getrennt und froh – bei meiner ersten großen Alleinreise fast hippieesk befreit fühlte. Ich schaute mir kauzige Dinge an, ich warf mein Geld für sinnlos teure Sachen hinaus, ich verplemperte Zeit mit Nebensächlichkeiten und verpasste strahlend die Hauptattraktionen, ich riss mich nicht zusammen, wenn ich müde war, ich musste nicht schneller gehen, um zu jemandem aufzuschließen, und nicht stehen bleiben, um auf jemanden zu warten, und ich hatte die beste Zeit überhaupt. 

Wenn man als Frau ohne Partner oder Partnerin durchs Leben geht, ist das irre anstrengend.

Warum viele Frauen ein solches Leben erst gar nicht in Erwägung ziehen? Ich muss, wenn ich darüber nachdenke, immer noch an ein altes Instagram-Bild von Mario Götze denken. Er steht dabei mit seiner seinerzeitigen Verlobten Ann-Kathrin Brömmel vor einem Minarett in Dubai. »Discovering wonderful places is even more fun when you do it with the one you love«, hatten er oder sein:e Social-Media-Praktikant:in daruntergeschrieben. Allerdings entdecken die beiden auf dem Foto gerade nicht die Schönheiten ihres Urlaubsortes, sondern sehen sich gegenseitig an. Klar, eine typische Instagram-Schrulle, dass man bei Urlaubsbildern mehr vom Urlaubenden als vom Reiseziel sieht. Aber die Pose der beiden ist sonderbar, selbst für Insta – Sie fasst ihn zögerlich an der Schulter, er berührt sacht ihren Ellenbogen, man könnte sie in dieser Position gut in einen Supermarktgang photoshoppen, wo sich zwei Fremde versehentlich in die Quere gekommen sind: Jetzt will sie ihn wegschieben, weil sie noch dringend zu den Anchovis muss, und er versucht sie beiseite zu bugsieren, um ins Sahnemeerrettich-Regal fassen zu können. Niklas Luhmann hätte vielleicht die bessere Bildunterschrift dafür parat gehabt: »Man liebt das Lieben und deshalb einen Menschen, den man lieben kann.«

Dieser Artikel ist thematisch an die Produktion Otello der Bayerischen Staatsoper angelehnt.

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