DIE GUTE MUTTER

Von Annabelle Hirsch

Fotografie von Hajar Benjida

Lesedauer: 6 min.

Gemessen an der Menschheitsgeschichte, stellt das unsägliche Phänomen, Frauen auf ihre biologische Rolle als Mutter zu reduzieren, nicht mehr als einen Atemzug dar und von Anfang an war es höchste Zeit, sich davon schnell wieder zu verabschieden. Woher das Konzept der »Guten Mutter« überhaupt kam und was es damit auf sich hat, erklärt die Kulturjournalistin Annabelle Hirsch.

In Mary McCarthys Roman »The Group« gibt es eine Szene, die mir immer im Kopf geblieben ist. Die Geschichte folgt einer Gruppe von acht jungen Frauen, acht Freundinnen, die sich nach ihrem Universitätsabschluss in den USA der 1930er Jahre ins Leben stürzen und versuchen, ihren Weg zu finden. Einige von ihnen zerbrechen an der Realität, andere wechseln einfach den Kurs, und manche schaffen es, ihre Träume zu verwirklichen.

Besagte Szene geht in etwa so: Priss Hartshorn, eine der acht Freundinnen, eine politische Aktivistin, hat gerade ein Baby bekommen, ihr Mann, ein Arzt, hat sich in den Kopf gesetzt, durch sie und sein Kind die Wohltaten des Stillens zu beweisen. Es ist ihm egal, dass man damals auf Milchpräparate schwört und die junge Frau große Schwierigkeiten mit dem Stillen hat, er setzt seine Ansicht durch, weil er meint, das sei das Beste: für das Kind, für die Frau, für seine eigene Idee der Mutterschaft. Die Frage des Stillens, also, ob man es macht oder nicht, und wenn ja, wie lange, kommt immer wieder auf. Die Moden und die Haltungen dazu ändern sich alle paar Jahrzehnte, daran, dass jeder eine Meinung dazu hat, also auch Leute, die weder Brüste noch Milchdrüsen, vielleicht noch nicht einmal Kinder haben, ändert sich allerdings seit Jahrhunderten wenig. Wenn eine Frau nicht stillt, weil sie nicht will oder nicht kann, erlauben Außenstehende sich oft Urteile, die selten zart und oft sogar hart und ablehnend sind. Ein zentrales Argument ist meist: die Natur. Befürworter der milchtropfenden Brust hat es immer gegeben, schon in der Antike sprachen viele sich dafür aus, in jener übergriffigen und selbstsicheren Ausprägung, wie wir sie heute erleben, tauchte die Vorstellung, wie eine gute Mutter zu sein hat, zum ersten Mal im 18. Jahrhundert auf.

Bis dahin war das Verhältnis zum Kind ebenso wenig zwingend mit Emotionen aufgeladen wie das zum Ehemann. Familie war etwas, das man hatte, mit dem man sein Gefühlsleben aber nicht unnötig belastete. In diesem Sinne war es auch vollkommen undenkbar, dass eine halbwegs gut situierte Frau ihr Baby selbst ernährte. Man schickte es nach wenigen Tagen aufs Land, zu einer Amme, wer sehr viel Geld hatte, holte sich eine ins Haus, wohlgemerkt, nachdem man sie zuvor inspiziert hatte wie einen Gaul (ein bisschen wie in »Handmaid’s Tale«). Und das mit gutem Grund: Zum einen hatten die meisten Frauen schlicht keine Zeit, den halben Tag mit Babyfüttern zu verbringen, das Konzept Hausfrau gab es damals noch nicht. Zum anderen wollte man sich nicht unbedingt an den Säugling gewöhnen. Die Sterberate war damals noch immer extrem hoch, sich mit dem Kind erst näher zu beschäftigen, wenn es die ersten kritischen Monate oder gar Jahre überstanden hatte, war ein Selbstschutz. Zumal die Männer oft wenig Wert darauf legten, dass ihre Frau stillt, einfach, weil sie ihnen dann sexuell nicht zur Verfügung stand (mit einer stillenden Frau zu schlafen, war lange Zeit ein Tabu).

So wie manche Frauen heute ihren Bauch verkaufen oder verleihen, war es damals ein gut bezahlter und gesellschaftlich angesehener Job, seine Brust und seine Milch anzubieten. Ammesein war für junge Frauen eine der lukrativsten Tätigkeiten überhaupt, doch dann beschloss eine Gruppe von Männern, einen neuen Mythos in die Welt zu setzen und damit neuen Druck auf die Frauen auszuüben: die Mutterliebe. Die Verbindung zur Mutter und damit in gewisser Weise zur Welt beginne nun mal mit der nackt herausgestreckten Mutterbrust, so behauptete man es damals mit großem Elan. Nicht umsonst heißt diese Nürnberger Porzellanfigurengruppe von Gottlieb Lück: »Die gute Mutter«. Die Frau sitzt da, umringt von schlafenden und musizierenden Kleinen, die an ihrer Brust, ihrer Schulter oder Hand hängen wie an einem nährenden Kletterbaum. Stören tut sie das offenbar nicht, sie ist ganz Geduld und Selbstaufgabe. Diese Figurengruppe, die es in vielen unterschiedlichen Anfertigungen gibt und die demnach in vielen gehobenen Haushalten stand, stellt ein Ideal der 1770er Jahre dar und fungierte neben ihrer dekorativen Funktion wohl auch wie eine Mahnung. Sie schrie der Frau vom Beistelltisch aus zu: Schau! So hat eine »gute Mutter« zu sein! Ihr Körper ist ein dauerhaftes »Open House«! Man beginne zu lernen, wenn man beginne zu leben, die erste Lehrerin sei jene Frau, die einen an ihrer Brust ernährt, so schrieb es der mutterlos aufgewachsene Jean-Jacques Rousseau. Wie sein Freund und Kollege Denis Diderot fand Rousseau (immerhin einer der meistgelesenen und -geschätzten Erziehungstheoretiker seiner Zeit) es unmöglich, dass eine Frau sich ihrer »Natur« widersetze und ihre Kinder »einfach so« ausrangiere. Im berühmten »Émile oder Von der Erziehung« schrieb er anklagend: »Diese sanften Mütter, die, ihrer Kinder ledig, sich fröhlich in die Vergnügungen der Stadt stürzen, wissen sie denn, welche Behandlung ihrem Kind in seinen Wickeln auf dem Dorf zuteilwird?«

Wie gesagt: Man hatte im 18. Jahrhundert die »biologische Natur« der Frau entdeckt und war gewillt, sich von nun an für jede noch so verquere Theorie darauf zu berufen. Mit permanentem Verweis auf die angebliche »Natur« der Frau als Mutter entwickelten diese ansonsten klugen und gar nicht misogynen Herren damals das vielerorts bis heute geltende Bild der »guten« versus der »schlechten« Mutter. Auf der einen Seite war die Frau, die in ihrer vermeintlich »natürlichen« Rolle der nährenden, sorgenden, erziehenden Instanz aufging. Auf der anderen jene, die weiterhin »nur« an sich selbst oder zumindest manchmal an andere Dinge als an ihr Baby dachte. Perfide war an diesem Gedanken der »natürlichen Mutterliebe«, dass man die Frauen dadurch zwar festnagelte und ihnen einen neuen Mythos überstülpte, sie aber zugleich glauben ließ, dass dies gut für sie sei: Es sei eine Aufwertung ihrer Rolle innerhalb der Familie. Sie sei nicht mehr nur, wie Aristoteles meinte, das »Gefäß«, in dem das Kind entsteht, keine Brutmaschine, sondern habe nun, durch die »von Natur aus« enge Beziehung zum Kind, auch so etwas wie Einfluss. Immerhin beginne die Erziehung ja mit dem ersten Tropfen Milch, so sagte es Rousseau und machte die stillende Mutter damit zur Erziehungsinstanz. Andererseits sagte er auch: »Die Frau ist dazu da, dem Mann zu dienen.« Die britische Feministin Mary Wollstonecraft, die ihre Tochter Mary Shelley nie stillte, weil sie im Kindbett starb (was diese nicht daran hinderte, den bis heute weltbekannten Horror-Klassiker »Frankenstein« zu schreiben), kommentierte diesen Satz des von ihr eigentlich geschätzten Rousseau einmal mit dem trocken klugen Ausruf:

»Was für ein Unsinn!«.

 

Annabelle Hirsch studierte in München und Paris Kunstgeschichte, Theaterwissenschaft und

Philosophie. Die Autorin arbeitet als freie Journalistin für FAS/FAZ, Taz, Zeit Online und diverse Magazine, schreibt Kurzgeschichten und ist literarische Übersetzerin aus dem Französischen. Sie lebt in Rom und Berlin.

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