Pop Revenge

Text von Julia Werner

Lesedauer: ca. 7 Min. 

Die Hölle der Rache kocht in den Herzen der Popstars, und sie ist Musik in den Ohren des Publikums. Man kann die vielen Vergeltungssongs der Popmusikgeschichte gar nicht zählen, und ihr Erfolg ist gerade wieder besonders groß. Das mag auch daran liegen, dass viele Songs dieses Genres heutzutage gleich ein Rahmenprogramm mit sich bringen. Jüngstes Beispiel ist Shakiras Song »BZRP Music Session #53«. Nur der Titel hört sich nach lustiger Clubnacht an, der Rest ist eine Abrechnung mit ihrem Ex-Mann, dem Fußballer Gerard Piqué. Anders gesagt: bei den beiden kann von Conscious Uncoupling à la Gwyneth Paltrow und Chris Martin keine Rede sein. Wir erinnern uns: 2014 verkündeten die langweiligsten Stars aller Zeiten ihre Trennung mit der Bekanntmachung des sich bewussten Entkoppelns, und allen Social-Media-Liebhabern schliefen davon, abgesehen von ein paar müden Witzen, sofort die Füße ein. Shakiras Song hingegen brach innerhalb von vierundzwanzig Stunden alle Rekorde auf Youtube, vor allem wegen dieser Zeilen: »You traded a Ferrari for Twingo/You traded a Rolex for a Casio.«

Millionen Menschen stellten sich also genüsslich Shakira vor, wie sie, mit dem Songschreibgerät in der Hand, die Stirn in Falten legt, um die ultimativen Basic Bitches unter den Autos und Uhren zu finden - damit sie die Neue an der Seite ihres Verflossenen ganz fies treffen kann.  Aber hier endet die Posse nicht: Der Fußballer fuhr ein paar Tage später feixend mit eben jenem Renault-Modell zum Training vor und parkte es zwischen Ferraris - Casio-Uhr-tragend. Den Zeitmesser beschrieb er so: »Hält für immer«. Die Marketing-Leute besagter Marken lagen zu diesem Zeitpunkt wahrscheinlich längst glücks - und schampusbesoffen unterm Tisch, so ein Coup fällt einem in dieser ausgelaugten Branche selten in den Schoß.

 

»You traded a Ferrari for Twingo/You traded a Rolex for a Casio.«

Spätestens hier muss man sich natürlich an die eigene Nase packen: bitte mal kurz alle zusammenreißen! Rachegefühle gehören ja zu den gesellschaftlich stark verpönten Emotionen, wenn man zum Thema googelt, dann darf man sie höchstens konstruktiv umleiten, aber besser wäre es, sie gar nicht zu haben und stattdessen Chris-Martin-mäßig die Sterne anzujammern. Aber genau das ist der Punkt: niemand mit gebrochenem, wildem Herzen ist bei klarem Verstand. Jeder will mindestens einmal im Leben das Heim eines Liebesmissetäters oder eines Chefs oder einer blöden Kuh in Schutt und Asche legen. Aber kaum jemand macht es, zum Glück. Die großen Popstars, die bei Verletzung zum kleinen, nachtragenden Häufchen Elend werden, liefern den Soundtrack zu unserer eigenen Zwergenhaftigkeit in Zeiten der Verletzung. Ein Song wie Beyoncés »Irreplaceable«, indem sie von Ehebruch singt, scheint Millionen betrogenen Trost zu spenden, oder besser gesagt: einen Stellvertreter-Rachezug zu führen. Weil Beyoncé immer noch mit Jay-Z verheiratet ist, kann ein Rachesong ja sogar auch Paartherapie sein! Stars, they are just like us, wie man so schön sagt. 

Moderne Revenge Songs, das ist Fakt, werden umso erfolgreicher, je mehr Gossip-Potenzial sie haben. In seinem Superhit »Cry me a River« spricht Justin Timberlake ja eine Frau an, die mit einem anderen in die Kiste gesprungen ist - und die ganze Welt ist sich einig, dass es sich da nur um seine Ex Britney Spears handeln kann. Die racheerfüllten Popstars lassen diese Spekulationen allerdings meistens unkommentiert und somit ein bisschen feige im öffentlichen Raum stehen. Dadurch werden selbst durchschnittliche Trällerliedchen unsterblich. Taylor Swift hat das Konzept längst auf die Spitze getrieben. Sie hat mit so vielen Lovern und Freundinnen per Musik abgerechnet, dass man leider die Vermutung haben muss, verletzte Gefühle seien für sie vor allem ein lukratives Marketing-Vehikel. Ihr Rachefeldzug begann 2008 mit »Picture to Burn«, andere Titel lauten »Better than Revenge« oder »Bad Blood«. 2010 sang sie das Stück »Dear John«. Darin beschreibt sie einen älteren Verflossenen, der sie, das damals unschuldige junge Mädchen wirklich, wirklich mies behandelte. Ein Schelm, wer denkt, dass es sich dabei um den Singer-Songwriter John Mayer handeln könnte, mit dem der Superpopstar mal eine Beziehung führte. Der Beschuldigte - so vermuten es zumindest die professionellen Gossiper - antwortete daraufhin übrigens mit »Paperdoll«, Thema: ein Mädchen ohne Inhalt und eigene Gedanken. Das wäre eigentlich ein ausgezeichneter Song dieses Ausnahme-Gitarristen, müsste man dabei nun nicht immer an Taylor Swift denken, die hoffentlich irgendwann einsieht, dass zu Beef ja immer zwei gehören.

 

Man merkt: nicht nur der moderne Revenge Song, auch die Begeisterung des Publikums für ebenjene ist ganz schön kleinlich. Das war früher anders. Die musikalische Revanche war subtiler, die von Carly Simon zum Beispiel. »You´re so vain« ist einer der großartigsten Songs seines Genres, weil er auf verschiedenen Ebenen angreift. Erstens: wird ein Mann als eitler Gockel beschrieben, der apricotfarbene Schals trägt und sich, wo er geht und steht, selbst im Spiegel bewundert.  Zweitens macht er mit dieser Ohrfeigen-Songzeile den Mann vollends zum Deppen: »You probably think this song is about you«. Und drittens gibt Superstar Mick Jagger den Background-Sänger, was deswegen genial ist, weil Carly Simon mit diesem Mann, der natürlich in Sachen Swag noch mal eine Nummer über dem im Song Besungenen liegt, eine Affäre nachgesagt wurde. Aber wer ist der Besungene denn nun? Die Öffentlichkeit war sich jahrzehntelang einig, dass es sich nur um den eitlen Frauenhelden Warren Beatty handeln könne, mit dem Simon in jungen Jahren mal was hatte. Sie gab das aber erst 2015, 43 Jahre nach Erscheinen ihres Hits, zu, die Lava der Rache war da längst erkaltet. Sicher war auch Nancy Sinatra auf irgendeinen Mann sehr wütend, als sie 1966 den Songschreiber Lee Hazlewood davon überzeugte, »These boots are made for walking« auf keinen Fall selbst zu singen, sondern in die Kehle einer Frau, also ihrer, zu gießen, Todesstoß: And one day, these boots will walk all over you. Wer das war? Wissen wir bis heute nicht, und das ist auch gut so. 

Aber warum ist das Genre Revenge Song gerade jetzt wieder so erfolgreich? Warum schießt ein mittelmäßiger Shakira-Tune oder ein banales Popsöngchen wie »Flowers« von Miley Cyrus, in dem sie - wieder mal angeblich - das Ende ihrer Ehe mit Liam Hemsworth verarbeitet - so durch die Decke? In unserer aktuellen Ära der Wokeness sind Gefühle schließlich dazu da, geachtet, gesehen, anerkannt zu werden. Die Heimzahlung passt da eigentlich nicht hinein, denn wer seine Gefühle immerzu reflektiert und analysiert, dem darf es doch gar nicht passieren, dass glühende Wut ihn dazu treibt, Hundekacke auf Türklinken zu schmieren! Aber es hilft nichts, die Hölle der Rache kocht trotzdem in unseren Herzen, auch wenn das jetzt gar nicht mehr salonfähig ist.

 

»You probably think this song is about you«

Die Washington Post untersuchte einmal die Wucht von Rache in den verschiedenen Genres der Popkultur, also Filme, Serien und Songs. Ergebnis: Musik war mit Abstand am gewalttätigsten. Was natürlich der banalen Tatsache geschuldet ist, dass ein Song im Durchschnitt drei Minuten dauert. Viel Zeit für einen ausgeklügelten Plan bleibt da nicht. In »Looking Back Now« von Maggie Rose (2013) erschießt eine Betrogene ihren Ehemann und landet dafür in der Todeszelle. In »Goodbye Earl« von der Band  The Chicks (1999) ermorden zwei Freundinnen einen gewalttätigen Lover. Der Netflix-Hit »Do Revenge« aus dem letzten Jahr, eine ziemlich schlaue Spiegelvorhaltung für die Generation Woke, ist dagegen nix. Und aber auch nicht Miley Cyrus, die triumphierend davon singt, dass sie sich ihre Blumen selbst kaufen kann. Es ist bezeichnend, dass dem Publikum von heute das als ausgleichende Gerechtigkeit reicht. So spiegelt die Begeisterung für die persönlichen Nickeligkeiten auf der großen Popbühne auch wieder nur den Rückzug ins Private wider. Sich über die großen Sachen aufregen ist zu anstrengend. 

In den besten Songs ihrer Gattung - schon lang her -  geht es nämlich eben nicht um persönliche Genugtuung, sondern um das große Ganze. Da wäre »9 to 5« von Dolly Parton, die Hymne zum gleichnamigen Film von 1980. Die lustigen Beats passen nicht zum Text, und darin liegt das Subversive. In der Filmsatire kidnappen drei Frauen ihren misogynen Chef, und auch wenn das im Liedtext nicht thematisiert wird. Macht einem morgens im Auto, auf dem Weg ins Büro, nichts mehr wütenden Mut über Mansplaining und Pay Gap als Dolly Parton? Nick Cave schrieb 1998 »The Mercy Seat«. Es ist der ultimative, politische Revenge Song, weil er nicht rächt, sondern Sinn und Unsinn von Rache an sich thematisiert: An eye for an eye/ And a tooth for a tooth/ And anyway I told the truth, singt ein unschuldig in der Todeszelle sitzender Mann. Der Song ist vom späten Johnny Cash gecovert worden, und sowieso hat niemand je die Komplexität von Vergeltungsdrang so herzzereißend in einen Song gepackt wie er. Der Zeit seines Lebens ausgelachte »A Man Named Sue« will im gleichnamigen Lied seinen Vater, der ihn so getauft hat, kurz bevor er ihn verließ, umbringen. Als er ihn, blind vor Wut, endlich findet, erklärt ihm sein Vater das Warum: er hat ihm den Mädchennamen gegeben, um ihn fürs Leben abzuhärten. Es folgt nicht Mord, sondern Versöhnung zwischen diesen Losern der Gesellschaft. Alles andere, Twingos, Blumen, die beleidigte Taylor Swift: nicht mehr als Ablenkung von allem, was einem im Jahr 2023 eigentlich das Herz brechen sollte. 

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