Klimakrise, Krieg, KI-Apokalypse – der Zeitgeist ist resignativ und fatalistisch. Daher haben politische Erzählungen Konjunktur, welche die Zukunft im Gestern suchen.
Als US-Präsident Donald Trump die Idee vorbrachte, den Gaza-Streifen in eine »Riviera des Nahen Ostens« zu verwandeln, konnten selbst erfahrene Politikbeobachter nur mit dem Kopf schütteln – der Vorschlag war so absurd, dass man ihn eigentlich gar nicht ernst nehmen konnte. Meint Trump das wirklich so? Plappert da jemand die Worte eines halluzinierenden Chatbots nach? Oder ist das alles nur Realsatire?
Man sah vor dem geistigen Auge Kasinos, Luxusresorts, Golfplätze und À-la-carte-Restaurants, wo beleibte Boomer mit ihren viel zu jungen Gattinnen in Manolo-Blahnik-Schuhen zu Abend speisen. Trump nahm einem aber leider auch diese Fantasie, indem er auf seinem Claqueurdienst Truth Social ein KI-generiertes Video teilte, das Gaza als disneyfiziertes Dubai 2.0 imaginierte: Skyline, Strände, Jachten. Und mittendrin Trump, der das Volk von einer phallisch-pharaonisch vergoldeten Statue grüßt und am Pool seines protzigen Luxushotels »Trump Gaza« im Liegestuhl mit Benjamin Netanjahu einen Cocktail schlürft. Der Fiebertraum eines Baulöwen. Wäre die Sache nicht so degoutant, könnte man den Vorschlag glatt für einen PR-Gag halten.
Natürlich wird Trump nicht den Gaza-Streifen einnehmen und Bauland an Investoren oder Siedler verkaufen, auch wenn das vielleicht der Impuls eines Immobilientycoons sein mag. Der US-Präsident wollte ja schon vor einigen Jahren der dänischen Regierung Grönland abkaufen, obwohl es dort kalt ist und nur einen kleinen Golfplatz mit neun Loch gibt. Doch die Vorstellung, man könne einfach mit dem Bulldozer über eine Trümmerlandschaft fahren und darauf Hotels bauen, zeugt von einem naiven, autoritären Politikverständnis. Weltpolitik ist ja kein Monopoly, wo es darum geht, ein Grundstücksimperium aufzubauen. Trumps Riviera-Plan ist eine Dystopie, die den Kolonialismus des 19. Jahrhunderts aktualisiert und womöglich nur mit der Zwangsumsiedlung hunderttausender Palästinenser realisierbar wäre.
Trump hat in der Vergangenheit schon zahlreiche groteske Ideen ventiliert. So stellte er 2012 in einem Tweet die krude These auf, das World Trade Center wäre bei den Terroranschlägen vom 11. September 2001 nicht niedergebrannt, hätte man nicht das feuerfeste Asbest entfernt und durch »Müll« ersetzt. Während der Corona-Pandemie empfahl er zum Entsetzen aller Mediziner, man solle sich zur Bekämpfung des Virus Desinfektionsmittel injizieren. Und beim TV-Duell im US-Präsidentschaftswahlkampf 2024 behauptete er, haitianische Migranten würden Haustiere stehlen und essen. »Flooding the zone with shit«, nannte Trumps früherer Berater Steve Bannon diese perfide Taktik: Man flutet das mediale Ökosystem so lange mit Bullshit, bis die Beobachter kapitulieren. Während Trump eine Nebelkerze nach der anderen zündet, schwingt sein Adjutant Elon Musk die Kettensäge und baut mit seiner Abrisstruppe DOGE (Department of Government Efficiency) den Staat um.
In Trumps erster Amtszeit, als die Medien etwas voreilig das postfaktische Zeitalter ausriefen und die Sozialkonstruktivisten der »French Theory« für die Beugung der Wahrheit verantwortlich machten, versuchte eine ganze Armada von Faktencheckern, Trumps Äußerungen einer Wahrheitsprüfung zu unterziehen. Man dachte, man könne Trump durch die Falsifikation und damit einhergehende Delegitimation seiner Aussagen als Lügner überführen. Die Washington Post zählte allein in den vier Jahren seiner ersten Amtszeit über dreißigtausend falsche oder irreführende Behauptungen. Doch irgendwann gaben die Chronisten es auf, jeden Fake zu dokumentieren; die diskursive Sünde der Lüge ist in einer Welt, in der sich jeder nach dem Do-it-yourself-Prinzip seine eigene Realität zurechtzimmert, nicht mal mehr ein Kavaliersdelikt.
Die Washington Post singt das Lied ihres Eigentümers, Amazon-Gründer Jeff Bezos. Und der Facebook-Konzern Meta hat die Faktenchecks in einer schmierigen Demutsgeste vor Trump gleich ganz abgeschafft. Die Öffentlichkeit macht sich keine falschen Vorstellungen mehr, dass sich Trump an den Goldstandard von Fakten halten würde. Der US-Präsident hat den Politbetrieb fiktionalisiert. Ihn der Lüge zu bezichtigen ist ungefähr so, als würde man Santa Clause vorwerfen, er erzähle Fantasiegeschichten. Die Lüge ist sein Stilmittel.
Trump ist der Politclown, der Possenreißer, der immer wieder neue Sottisen von sich gibt. In gewisser Weise erwartet der Zuschauer, zuvor dass der US-Präsident diese Rolle einnimmt. Würde er vom Duktus seiner kindlich-naiven Bildersprache (»beautiful, shiny white rockets«) abweichen und in Scholz’scher Bürokratenmanier Paragraphen zitieren, würde man paradoxerweise meinen, er schauspielere. Insofern wird das Publikum auch nicht getäuscht.
Trump ist authentisch als Märchenonkel. Seine mediale Selbstinszenierung lebt von der großen »dezisionistischen Geste« (Armin Nassehi), wenn er mit Big-Mac-großer Unterschrift reihenweise Executive Orders unterschreibt (ein Fest für Graphologen und Semiotiker!) und die Dokumente als Tätigkeitsnachweis triumphierend in die Kamera hält. Doch diese Dekrete, die der Präsident erlässt, sind häufig nur Symbolpolitik – eine Simulation von Politik, die Handlungsfähigkeit suggeriert, aber im Ergebnis wenig bewirkt. »Die Menge an Worten, Papier und Komitees erzeugt die Illusion der Entscheidung«, schrieb schon der französische Soziologe Jacques Ellul in seinem Werk »L’Illusion politique« (1965). Wenn Trump vollmundig verspricht, er bringe die Jobs in der Automobilindustrie zurück – »Bring back« ist eine zentrale Formel seines radikalen Revisionismus –, und sich zum Retter der heimischen Industrie aufschwingt, muss selbst den ergebensten »Front Row Joes« klar sein, dass dies angesichts des Strukturwandels und der chinesischen Billigkonkurrenz eine Illusion ist, an der auch Zölle nichts ändern. Das Rad lässt sich nicht zurückdrehen. Doch Politik ist schon länger zum Illusionstheater verkommen. Da werden munter Ziele formuliert (Eins-Komma-fünf-Grad-Ziel, Zwei-Prozent-Ziel bei der Verteidigung, vierhunderttausend neue Wohnungen im Jahr usw.), die dann krachend verfehlt werden und für Verdruss sorgen. Ziele wecken ja Erwartungen, die bei Nichterreichen enttäuscht werden. Man liest dann Schlagzeilen wie »Deutschland nicht auf Klima-Kurs« oder »Regierung verfehlt Ziele stark«. Die New-Public-Management-Doktrin, die mit dem Siegeszug des Neoliberalismus in den 1990er Jahren Einzug in die öffentliche Verwaltung hielt und spröde Kämmerer das Consulting-Vokabular von »Use-cases« und »Impact« lernen ließ, hat auch im Diskurs ihre Spuren hinterlassen. Ohne Managementinstrumente kann man kein Dorffest mehr planen.
Was also kann man von der Zukunft noch erwarten? In einem Land wie Deutschland, in dem aufgrund der historischen Erfahrung Utopien unter Ideologieverdacht stehen, tut man sich naturgemäß schwer mit Weltverbesserungsfantasien. Schon kleinste Korrekturen am System wie eine Reform der Pflegeversicherung gelten als »illusorisch«. »Wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen«, deklamierte Bundeskanzler Helmut Schmidt und nordete damit die Diskurslandschaft ein. Die Politikergenerationen, die folgten, scheuten den Arztbesuch. Reformstau lässt grüßen. Der Satz »Die Rente ist sicher«, den der damalige Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung, Norbert Blüm, plakatieren ließ, darf nach Einschätzung von Ökonomen als modernes Märchen gelten. Und die »blühenden Landschaften«, die Bundeskanzler Helmut Kohl nach der Wiedervereinigung vollmundig versprach, haben sich teilweise in einen AfD-Sumpf verwandelt. Es mögen noch so viele Sonntagsreden gehalten werden, aber an die Erzählung glaubt heute niemand mehr.
Der Soziologe Andreas Reckwitz hat in seinem Buch »Das Ende der Illusionen« (2019) beschrieben, wie die liberale Fortschrittserzählung in Dystopie und Nostalgie gekippt ist. Finanzkrise, Terroranschläge, Trump und Brexit, so Reckwitz’ Zeitdiagnose, hätten die »Liberalisierungs- und Emanzipationsgewinne« erschüttert und das Erbe Francis Fukuyamas vom »Ende der Geschichte« kassiert. Das Ergebnis sei eine »desillusionierte Gegenwart«.
Die Menschen machen sich keine Illusionen über ihre Zukunft. Der Zeitgeist ist resignativ und fatalistisch. Die Zukunft wird nicht mehr als Möglichkeitsraum, sondern als Gefahrengebiet wahrgenommen. Am Horizont dräuen Krieg, Klimakatastrophe und KI-Apokalypse. Dass es die Jungen heute angesichts multipler Krisen schwerer haben, bestreiten nicht mal die Alten. Gleichzeitig klammert man sich an alte Glaubenssätze, die in unruhigen Zeiten Stabilität versprechen. Sonst hätte die SPD im jüngsten Bundestagswahlkampf auch nicht für »stabile Renten« geworben. Je wackeliger die Lage, desto solider ist die Rhetorik der Selbstbeschwörung. Womöglich wollen die Wähler gar belogen werden. Die Nostalgie ist der letzte Rettungsanker, die »verlorenen Illusionen« (Honoré de Balzac) zurückzuholen.
Die Populisten um Trump, Weidel und Le Pen verkaufen einem die Vergangenheit als glorreiche Zukunft – nach dem Motto: Wenn alles wie gestern ist, ist alles wieder gut. Zurück zur D-Mark, zurück zu den Schlagbäumen, zurück zum Familienbild der 1950er Jahre. Es geht um die Rückabwicklung des verhassten »Projekts der Moderne«. Das Fatale an diesen rückwärtsgewandten Vorstellungen ist nicht nur die Romantisierung und Verklärung der Vergangenheit, sondern die Diskreditierung von Zukunftserzählungen, die den utopischen Raum derart schrumpft, dass Trumps Phantasma eines Disneylands im Gaza-Streifen schon fast wieder visionär wirkt. Bis der Gaza-Streifen allerdings als »Riviera des Nahen Ostens« erblüht, dürfte Mar-a-Lago schon überflutet sein.