Psst! Hallo, Sie! Ja, Sie da! Hallo, Sie, Mensch! Können Sie mich hören? Und sehen? Können Sie mich fühlen, spüren, wahrnehmen? Mich vielleicht sogar für wahr nehmen? Fürwahr, fürwahr, das kann ja beileibe nicht jeder. Der eine kann nichts sehen, die andere nichts hören, das nächste nichts riechen, nichts schmecken, nichts fühlen. Hier fehlt die Empathie, da die Telepathie, dort die Fantasie. Bunt verstreut sind sie, die Talente der Tierchen, gerade so, wie es der Natur gefiel. Hach ja, die Natur, immer noch die Lustigste von allen!

Hallo, Sie! Treten Sie näher, kommen Sie ran! Nur noch einen kleinen Schritt. Schenken Sie mir ein Ohr. Vielleicht legen Sie Ihren Kopf ans Glas, das Luft und Wasser trennt und uns beide mit dazu, dann können Sie mich vielleicht sogar blubbern hören und nicht nur denken sehen.

BUH!

Haha! Hab ich Sie erschreckt? Tut mir leid, das wollte ich jetzt nicht. Soll ich ihnen ein Geheimnis verraten?

BUH!

Hehe! Aber natürlich wollte ich das!
Jetzt haben Sie sich doch nicht so. War doch nur ein kleiner Scherz. Sie sind aber schnell eingeschnappt! Okay, vielleicht sollte ich mich erst einmal vorstellen, zur Vertrauensbildung quasi. Gestatten: thaumoctopus mimicus. Meine Freunde nennen mich Mimimi.
Aber ein Mimik-Oktopus wie ich hat keine Freunde. Ich bin ja ein Einzelgänger. Und Eltern habe ich auch keine. Mei, es wird sie schon gegeben haben, aber ich bin ihnen nie begegnet. O, bitte nicht weinen, ich brauche doch kein Mitleid. Wäre ich ein Mensch, würde ich mich meiden, höchste Psychopathengefahr, denn ich wäre ein ganz schön schräger Vogel. Aber so bin ich nur ein lustiger Fisch. Und alle gucken mich an. Aber nur wenige können hören, wie ich singe.

Ich bin ein kleiner Oktopus
Bestehe nur aus Kopf und Fuß
Ach, wo steht mir nur das Köpfchen?
Mit den Füßen mach ich Zöpfchen!

Äh, wo war ich gleich? Ach ja, hier bin ich, Mimimi, im Haus des Meeres in Wien. Der Star des Aquariums. Das Showtier im Tiefseebecken. Das personifizierte Tentakelspektakel. Treten Sie näher, kommen Sie ran! Haha! BUH!
Und los geht sie, meine Show! Servus, willkommen in mein’ bescheid’nen Unterwasserpalast hier in Wien, im sechsten Bezirk. Denn i bin ka gewöhnlicher Oktopus, i bin da größte Showman unter den Kraken. Schau, i kann mi verwondeln, wie’s mir taugt. Heut Oktopus, morgen Muräne, übermorgen giftige Seeschlange, i bin, was d’wüist. Heast, schau her, i mach dir den gefährlichen Rotfeuerfisch. Füß’ und Flossen in die Höh’, dazu der tödliche Blick, scho schwimmen’s alle davon.

Herrje, der Wiener Slang. Ich sollte ihn mir abgewöhnen. Aber sehen Sie: Das Umfeld färbt halt ab, besonders bei einem bunten Hundling wie mir.

Bin ich dies, bin ich das
Bin ich da, bin ich hier
Bin ich ein ganz anderes Tier!

Ich kann mich in ein Kätzchen verwandeln, dann bin ich eine Octopussy. Lege ich mich neben die Alge, wird sie ganz blass. Und ich hellgrün vor Leidenschaft. Mir ist dann ganz flatterhaft und blümerant zumute. Siehst du, wie sich meine Arme wie Blätter im Takt der Brandung bewegen? Gut, die Brandung hier im Becken ist bloß die Strömung der Umwälzpumpe. Geht aber auch!

Bin ich dies, bin ich das
Bin ich da, bin ich hier
Bin ich ein ganz anderes Tier!

Der Plattfisch – supergiftig! – ist meine leichteste Übung. Bin ich platt, hauen alle andern ab. Flüchten vor mir. Außer der blöde Plattfisch selber. Ich gebe den Plattfisch nämlich so gut, dass er mich für Frau Plattfisch hält, der Depp. Glaubste nicht? Guckste Youtube.

Ich kann auch Platt schnacken und bayrisch ratschen und hessisch babbeln und mit schwäbischen Spezln Spätzle speisen. Guck mich an, jetzt bin ich ein Nudeltopf! Kann ich alles, bin ich ein Schwamm. Saug ich alles auf, was im Meer rumschwimmt. Bin ich Spongebob! In echt sind Schwämme nicht lustig. Aber ein ausdauerndes Publikum.

Bin ich dies, bin ich das
Bin ich hier, bin ich da
Bin ich Professor bei Wikipedia

Da lese ich, dass einer meiner Trivialnamen, wie sich Wissenschaftler so vornehm ausdrücken, »Karnevalstintenfisch« lautet. Als Faschingsfisch wäre ich natürlich gern im Sea Life in Köln gelandet, aber da steckt man ja nicht drin, wo die Reise des Lebens hingeht. Die Wege des Fischers sind unergründlich. Man wird aus der Wildnis geangelt, mit dem Airbus um die Welt geflogen und dann lässt dich einer in irgendein Becken mit künstlichem Salzwasser plumpsen, in dem bereits hunderte andere Fische gestorben sind. Sie wollen nicht wissen, wie das hier schmeckt. Da gehen sogar mir die Witze aus.

Was wär’ ich gern in Kölle
Da säng’ ich Höllehölle
Mit dem fetten Zackenbarsch
Und beide wären wir am Arsch

Hier in Wien gibt’s in der Karnevalssaison ja bloß Bälle. Da verwandele ich mich doch gleich in einen Kugelfisch. Blubb, Blubb, Blob!

Ja und der Kugelfisch ist giftig
Macht da der Koch was nicht ganz richtig
Bist du schnell platt wie eine Flunder
Legst dich ins feuchte Grab hinunter

Wobei: A Puderperücke beim Debütantinnenball tät’ ich ja schon gern mal imitieren. Gnä’ Frau, derf i mi auf Ihren Schädl setzen? Na? A geh. Vielleicht das nächste Mal. Küss die Füß!
Ich sag ja immer: Sind dir die Goldfische zu teuer, dann kauf’ halt die Silberfische. Ach komm, der Kalauer war jetzt Hecht witzig. Fanden Sie nicht? Dann gehen Sie bitte ein Fenster weiter, da sind die Clownfische.

Hören Sie, Mensch, ich muss mich kurz konzentrieren. Die Fütterung geht gleich los. Dachten Sie etwa, ich merk das nicht? Doch, doch, doch, klar hab ich den Rochen gebraten!

Bin ich dies, bin ich das
Bin ich da, bin ich hier
Bin ich ein wildes Säugetier!

Jetzt mime ich mal den Vielfraß und schlage mir meinen nicht vorhandenen Bauch voll. Das ist eine meiner größten schauspielerischen Leistungen. Weil: Alle Versuche, einen von uns Thaumoctopoden in einem Aquarium zu halten, sind gescheitert, weil sämtliche Exemplare die Nahrungsaufnahme verweigert haben und alsbald eingegangen sind. Ja, alle außer mir.

Es liegt nahe, die Reaktion meiner Art- und Leidensgenossen, das Fressen einzustellen, als wenig subtilen Protest gegen eure Haltung von uns Tieren hinter einer Glasscheibe zu verstehen, als Hungerstreik, so wie ihr ihn bereits von Dissidenten und Terroristen kennt.

Vielleicht liegt es aber auch daran, dass ihr Menschen, was die Thaumoctopodologie angeht, einfach noch nicht weit genug fortgeschritten seid, das ihr halt einfach nicht wisst, was uns wirklich schmeckt. Offensichtlich fressen wir Krebse und kleine Fische, aber auch nur, weil es im Meer nichts anderes gibt.

In Wien sieht das kulinarische Angebot ganz anders aus. Die Wiener, sie haben ein gewisses Hendl, sorry, ich meine: ein gewisses Händchen fürs Füttern hungriger Meeresfrüchte. Abends, wenn der Laden leer ist, bringt der Wärter mir a Eitrige mit an G’schissenen und an Buggl vorbei.

I für mi und meinereiner
Friss am liebsten Käsekrainer
Trinkt dazu no an, zwa Bier
Schon ist es lustig, das Getier

Wos, des glaubst ned? Dann halt ned. Aber irgendan Trick werden’s ja haben, die Wiener Aquaristen. Sonst war i längst scho abgenippelt.
Beim Stichwort Trick fällt mir die Geschichte von dem japanischen Mondfisch im Aquarium von Shimonoseki ein, die kürzlich durch die Medien ging. Dem Fisch ging es schlecht, weil das Gebäude renoviert werden musste. Auf einmal waren die Hallen leer und vor seiner Scheibe nix mehr los. Man muss dazu wissen, dass der Mondfisch auch der Star des Aquariums war. Jedenfalls wollte der Mondfisch dann auch nichts mehr fressen.

Da haben die Pfleger debattiert und überlegt und gemacht und getan und nix half. Bis einer auf die Idee kam, Menschengesichter an die Scheibe zu pappen und Jacken und Hosen dazu. Und als der Mondfisch gesehen hat, dass sein Publikum wieder da war, wurde ihm ganz wechselwarm ums Herz. Zehn Tage war der Mondfisch krank, dann fraß er wieder, Gott sei Dank!

Die Haltung von Meerestieren hat so ihre Tücken und vor allem lernen wir daraus: Auch Illusionen können heilen. Lassen Sie sich das gesagt sein von mir, dem Illusionistenspezialisten. Weil: Ich bin ja auch nur eine Projektionsfläche. Für euch. Für euer schlechtes Gewissen in Sachen Meeresfauna.

Sie kennen doch bestimmt den Film »Mein Lehrer, der Krake«. Ja? Aber ich muss erst ein wenig ausholen.

Also: Mein Pfleger, hier im Haus des Meeres, er versteht mich nicht. Umgekehrt verstehe ich ihn ganz gut. Neulich zum Beispiel, da hätte ich ihn fast gehabt. Wann immer der vor meiner Scheibe steht, schwimme ich herbei. Da steht er also da, schaut mich an und ich schaue zurück. Also mit seinem Gesicht! Und damit er sich in mir erkennt, hab ich mit zwei Tentakeln seine Brille nachgemacht. Was er sehr nüchtern zur Kenntnis genommen hat.

So ein Wissenschaftler, der misstraut seinem Gefühl halt. Ich weiß, das muss er, von Berufs wegen. Sonst reden die anderen Wissenschaftler schlecht über ihn. Das würde ihn traurig machen. Ach, ich hör ja schon auf. Es heißt ja, dass man nicht zu viel in den Menschen hineininterpretieren soll, gerade, was seine Gefühlswelt angeht.

Wobei: Seine Gefühlswelt liefert einem der Mensch ja auf dem Silbertablett. Da habe ich doch kürzlich im Wiener Standard einen Artikel über mich und meinesgleichen lesen müssen, wo eine Autorin mit großem Mitgefühl für Octopoden wie mich auf meinen Pfleger hier im Haus des Meeres getroffen ist.

Der konnte mit ihrer Rührseligkeit in Anbetracht des vom Menschen geschundenen Meeresgetiers so gar nichts anfangen und zog ihr dann mit wissenschaftlicher Präzision den naiven Zahn. »Wie mir die Illusion vom Wunder Oktopus genommen wurde« – das hat die arme Frau hinterher über ihren Artikel schreiben müssen.

Die Oktopoden, sagte mein Pfleger, seien die Delphine der 2020er-Jahre; nachdem zuvor die Seepferdchen in Mode waren, wären nun eben Oktopusse angesagt. Na ja, so kann man das natürlich auch sehen, und irgendwo muss er ja hin, der Mensch mit seiner Liebe.

Ich sehe es so: Die einen schauen mich mit dem Hirn an und die anderen schauen mich mit dem Herzen an und immer sehe ich anders aus. Das bin ich doch gewohnt! Und ist es nicht interessant, dass wir Kopffüßler manchen von euch dumm erscheinen und anderen schlau? Ist vielleicht das die schönste und meisterlichste Illusion von allen?

Zurück zu »Mein Lehrer, der Krake«, auch so ein gefühlsduseliger Streifen für unwissenschaftliche Tierliebhaber. Ein Feuilletonist der Süddeutschen Zeitung nannte das Video einen Bankrott für das Genre Tierfilm, weil es sich darin nicht ums Tier drehe, sondern um den scheiternden Menschen. Der Film kriegte dann trotzdem einen Oscar. Jedenfalls essen viele Menschen seitdem keine Calamares mehr.

Das weiß ein jeder Oktopus
Siehst du den Menschen, ist bald Schluss
Mit all dem bunten Meerestier
Und ja, mein Kleiner, auch mit dir
Der Mensch hat dich zum Fressen gern
Drum halt dich von dem Menschen fern

Ich meine: Bevor ich mich fressen lasse, lache ich mich lieber tot. Ich werde ja eh nur ein Jahr alt, da kommt es darauf nicht so an. Ein Jahr, dann ist mein Leben vorbei. Schauen Sie doch mal zum Vergleich, was eure Menschenskinder so können, wenn sie ein Jahr alt sind. Ich konnte nichts von meinen Eltern lernen, weil ich meine Eltern nie gesehen habe. Ich konnte nichts von meinen Artgenossen lernen, weil ich Einzelgänger bin. Woher kann ich also wissen, dass ich mich nur in eine Seeschlange verwandeln muss, damit alle mich in Ruhe lassen? Eure Wissenschaftler sagen: angeboren. Und verschieben damit das Problem in die Vergangenheit. Ist eine kleine Kopfnuss für eure Wissenschaftler, hehe! Die Wahrheit ist, dass ich nicht ein Jahr alt bin, sondern dreihundert Millionen Jahre.

Hahaha, Hahaha!
Ha …?
Blubb?
Wasser!
Wasser, verdammt.
Ich krieg’ kein Wasser mehr.

Was is jetzt dös? I schätz’, dass i jetzad zur Wiedergeburt muss. Na, dann mach’ i mal Platz für die nächste Generation, es wird, Pi mal Tentakel, die zweihundertfünfzigmillionste sein.

Also: Habe die Ehre! Tschüss, tschau, servus und baba! I beiß’ nun in den Sand. Und ihr leckt’s mi schön am Abend! Und ansonsten könnt’s ihr mi jetzt mal gern ham. Und zwar alle.

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