La Casse
Jedem Anfang wohnt bekanntlich ein Zauber inne. Aber der Neustart ist in der Mode ein Survival-Move. Das Neue bestimmt nicht nur die Saisons. Ab und zu muss, wie bei jeder gut gepflegten Maschine, das Öl komplett gewechselt werden, damit der Motor wieder flüssig läuft. Das Öl ist: die Kreativkraft. Im Jahr 2025 haben gleich fünfzehn Modehäuser die Resettaste gedrückt. Der am meisten erwartete Neustart kam ganz am Schluss der Pariser Modewoche: Matthieu Blazy, bei Bottega Veneta als Genie gefeiert, zeigte seine erste Kollektion für das wohl legendärste aller Modehäuser, Chanel. Gelungen? Es ist kompliziert.
Der Einundvierzigjährige ist der neue »künstlerische Direktor der Mode-Aktivitäten«. Der geschwurbelte Titel erinnert an diesen alten Werbespot von Haribo, wo der Gummibär-Boss zu Thomas Gottschalk sagt: Du darfst alles essen, Thommy, aber nicht alles wissen. Blazy also soll nach vier Jahrzehnten Lagerfeld und drei Jahren Lagerfeld-Assistentin an der Spitze das Modehaus Chanel modernisieren. Aber an die großen Themen des Luxuskolosses darf er nicht ran. Heißt: Für das große Ganze, also das Marketing, sind andere verantwortlich. Das heißt nicht, dass man ihm nicht vertraut. Es füttert einfach nur die Vermutung, dass es in der Mode, dieser milliardenschweren Megaindustrie, gar keine echten Neustarts mehr geben kann. Wie gesagt, es ist kompliziert.
Meinungen zu Matthieu Blazys Debütkollektion gab es schon vor der Show so viele, wie es überflüssige Social-Media-Influencer gibt. Würde es jetzt ein steriles, minimalistisches Chanel geben? Würde der leicht altmodische Schmuck für immer verschwinden? Oder würde er die Silhouetten so avantgardistisch aufblasen, dass die Ladies who lunch gar nicht mehr wissen, was sie demnächst anziehen sollen?
Die Wahrheit lag am Ende irgendwo dazwischen. Und das Geschrei erinnerte an einen anderen Neustart bei Chanel, nämlich den von Karl Lagerfeld höchstselbst. Als er 1983 die im Wachkoma liegende Legende Chanel übernahm, war auch erst mal die Hölle los. Er brachte alle seine Freunde mit und besetzte bis in die Presseabteilung einen Großteil der Positionen neu. Er wischte Cocos Nachkriegscodes – das Tweedkostüm, die Perlenketten, Bouclé – mit einer größenwahnsinnigen Handbewegung vom Tisch und zeigte stattdessen, was Gabrielle Chanel in den zwanziger und dreißiger Jahren berühmt gemacht hatte. Die Women’s Wear Daily (WWD) schrieb damals, Lagerfeld habe zu viele Chanel-Don’ts und zu wenige Dos begangen, es gab damals ja noch kein digitales Gedächtnis, wie sollte sich der arme Mann an die Zwanziger erinnern? Der WWD versprach Lagerfeld auch, die Frühjahrskollektion werde »modern und chic-sexy« werden – »nicht Las-Vegas-sexy, mit längeren und schmaleren Proportionen«. Dann fügte er hinzu: »Sie hat es nie so gemacht – aber es ist very Chanel, no?«
Was very Chanel ist und was nicht, da will heutzutage so wie damals jeder mitreden. Aber Lagerfeld hatte einen einzigartigen Vorteil: Er konnte zerstören, um hinterher auf den Ruinen neu aufzubauen. Blazy – und seine Mitstreiter bei den anderen Labels wie Dior, Balenciaga oder Gucci – haben diese totale Freiheit nicht. Zu groß sind die Modehäuser, zu groß die Risiken, das, was noch funktioniert (und auf penibler Kundendatenanalyse beruht) zu verlieren. Von Blazy wird nichts Geringeres erwartet, als Chanel neu zu denken, ohne Chanel in seinem innersten Kern zu berühren. Damit sind Modeimperien keine Ideenfabriken mehr, sondern mehr oder weniger gewitzte Verwalter von Ikonen. Aber die Sehnsucht nach dem Reset, nach diesem einen Kleid, dem Laufstegmoment oder dem Satz in der Pressemappe, der alles verändert – die stirbt in der Mode nun mal nie. Ein unüberwindbares Paradox, aber einfach so weitermachen ist auch keine Option.
Lagerfelds rechte Hand Virginie Viard führte als seine Nachfolgerin fort, was er gebaut hatte – respektvoll, aber ohne den subversiven Witz, den Lagerfeld Chanel eingeimpft hatte. So bewies sie nur eins: dass Loyalität in der Mode keine Tugend, sondern ein echter Klotz am Bein ist. Wie also bringt man als Modehaus wieder Schwung in die Bude? Die Möglichkeiten sind vielfältig, die Resultate auch, da reicht ein Blick in die vergangenen zehn Jahre. Als Alessandro Michele 2015 bei Gucci antrat, war das Haus müde vom eigenen Glamour. Micheles Methode war die totale Überschreibung des Dagewesenen. Ja, er holte ein altes Logo wieder aus der Mottenkiste (das Doppel- G), aber ansonsten setzte er konsequent auf Gegenwart, und zwar seine eigene. Er setzte Gender Fluidity neben katholische Symbolik, Patina neben Pop und Rüschen neben Labelgläubigkeit. Die strenge Frida Giannini und der sexy Tom Ford waren sofort vergessen. Alle wollten in die Wunderkammer des Signor Michele. Gucci wurde zum Giganten, scheinbar unbezwingbar in seiner Exzentrik, ein Kult. Wie bei jeder Religion kam irgendwann der Moment, in dem der Ritus nur noch wie eine leere Geste wirkte. Als er 2022 ging, hinterließ Michele zwar eine Erfolgsgeschichte, aber auch ein großes Problem: Die Marke war größer als ihre Produkte geworden.
Und dann wäre da noch der Fall Balenciaga. Nach dem hochintellektuellen Nicolas Ghesquière wollte der Konzern Kering das Haus in fröhlichere Gefilde lenken. Der junge Alexander Wang aus New York mit seiner Liebe zu scharf geschnittener Streetwear-Lässigkeit schien der Richtige, war es aber nicht. Nachdem er Balenciaga von seinen architektonischen Ecken und den sakralen Kanten befreit hatte, war nichts mehr von der Legende übrig. Kann sich heute noch irgendjemand an seine Entwürfe erinnern? Und dann kam Demna Gvasalia. Als der Vetements-Erfinder Wang 2015 ablöste, war das Entsetzen mindestens so groß wie seinerzeit bei Lagerfeld, der spätere Erfolg aber auch. Balenciaga wurde zur moralischen wie ästhetischen Zumutung – und deswegen wieder relevant.
In der Mode ist Mittelmaß tödlicher als Provokation, eine Regel, die unumstößlich ist, wie wir beim missglückten minimalistischen Neuanfang von Gucci mit Sabato de Sarno gesehen haben. Ob aber das Kalkül des Luxuskonglomerats Kering aufgeht, den Extrem-Resetter Demna Gvasalia seinen Balenciaga-Erfolg bei Gucci wiederholen zu lassen, ist genauso offen. Umgekehrt hat ein auch eher nicht provozierender Italiener, Pierpaolo Piccioli, die kreative Leitung von Balenciaga übernommen. Seine erste Kollektion war vor allem eine sehr schöne Verneigung vor allen seinen Vorgängern. Genug, damit den Leuten das Herz höherschlägt, ob aus Verachtung oder aus Liebe? Es darf bezweifelt werden.
Die Abwägung zwischen Beständigkeit und Modernisierung scheint eine Kunst, die man auf den Chefetagen von Luxuskonzernen beherrschen muss. Oder ist es in Wahrheit nur Glücksspiel? Weil der radikale Wechsel auf die Wundertüte Alessandro Michele bei Gucci so gut funktionierte, inspirierte das natürlich auch andere Schlipsträger zu extremen Entscheidungen. In einem Fall konnte man dann in rasantem Tempo einer Falschbesetzung beim Untergang zusehen: Justin O’Shea bei Brioni. Der ehemalige Truck Driver und Fashion Buyer von Mytheresa sollte 2016 den italienischen Gentleman-Ausstatter Brioni modernisieren. Aber er war im Gegensatz zu Alessandro Michele eben kein Designer, sondern nicht mehr als ein Instagram-Phänomen mit Tattoos, Bart, Sonnenbrille und zu engen Anzügen. Nachdem O’Shea in einem Anfall von Größenwahn das Logo durch eine Runenschrift ersetzt, Metallica als Kampagnengesichter verpflichtet, seine Buddys um die halbe Welt geflogen und den Chefschneider gegen sich aufgebracht hatte, weil er den Armausschnitt enger haben wollte als im italienischen Schneiderhandwerk vorgesehen, zogen die Verantwortlichen die Notbremse. Brioni, einst Inbegriff leiser Luxusdisziplin, wirkte plötzlich wie ein Witz. Nach gerade mal sechs Monaten war O’Shea wieder weg, er hält damit bis heute den Rekord des kürzesten Design-Stints bei einem Modelabel.
Was also blieb, waren die Lacher und die Erkenntnis, dass Rebranding dann doch eine Operation am offenen Herzen ist, für die es gut ausgebildete Chirurgen braucht und keine Dilettanten. Das Risiko, dass das Herz stehenbleibt, ist immer da. Von Ungaro hört man seit 2009, als jemand die glorreiche Idee hatte, das Hollywood-Starlet Lindsay Lohan zur Kreativberaterin zu machen, nichts mehr. Aber Ungaro ist auch nicht Chanel. Das ist unsterblich.
Zu guter Letzt geht es aber in der Mode von heute selbstredend nicht mehr nur um Silhouetten, Stoffe und Farben, sondern vor allem ums Logo. Bei Matthieu Blazy blieb das legendäre Doppel-C von Chanel natürlich unangetastet, aber er wagte es, den Schriftzug in Schreibschrift auf ein weißes Hemd zu sticken – eine Typographie, die neu wirkte, in Wahrheit aber schon mal in den achtziger Jahren bei Chanel verwendet wurde. Der andere große Big Shot, Jonathan Anderson bei Dior, schockierte auch nicht mit wahnsinnig neuen Formen, sondern den ein oder anderen Dior-Kunden mit der Rückkehr zu einem alten Logodesign: weg von den brachialen Versalien zurück zur typographischen Tradition in Kursivschrift. Es ist das Ursprungslogo, dass Christian Dior höchstselbst 1946 wählte. Der Trend beim Reset geht also quasi hin zur Werkseinstellung von Modehäusern – was wohl die Gegenbewegung zum sogenannten Blanding ist, dem Wegpolieren von allem Überflüssigen. Das ging in den letzten Jahren so weit, dass man sich sehr konzentrieren musste, Saint Laurent, Bottega Veneta, Loewe und Co. auseinanderzuhalten. Auch Burberry hat sich von Riccardo Tiscis Säuberungsaktion 2018 immer noch nicht richtig erholt. Er ließ das altmodische Logo tilgen und mit einem neuen, geometrischen Monogramm ersetzen. Das Resultat war das, was passiert, wenn man beim Staubwischen das falsche Tuch auf einer empfindlichen Oberfläche benutzt: Der Lack war weg. Und müssen Trenchcoats nicht ein bisschen staubig sein, damit sie cool sind?
Und so bleibt zusammenfassend nur zu sagen, dass die Mode den Ruf nach Neuanfang wahrscheinlich mehr liebt als den echten Neuanfang selbst. Und dass vielleicht gerade darin ihr Zauber liegt – in dieser endlosen Wiederkehr, die nie ganz neu und nie ganz alt ist.