Ende gut, … 

Text von Quill Kukla
Kunst von Emily Mae Smith

Lesedauer: 5 min. 

Über das Ende von Beziehungen denkt kein Mensch gerne nach. Zu oft laufen Beziehungsenden hässlich ab. Was aber, wenn das Ende von vornherein als fester Bestandteil einer Bindung mitgedacht wird. Schließlich hat jede Beziehung ein Ende. Was passiert, wenn Beziehungen als prinzipiell zeitlich begrenzt verstanden werden?

Warum betrachten wir eine beendete Beziehung als gescheitert? Warum halten wir jemanden, der mehrmals verheiratet war, für beziehungsunfähig, und sehen ihn nicht als jemanden, dem es leichtfällt, kurze, intensive Beziehungen einzugehen? Wir verwenden die Formulierung »eine gescheiterte Beziehung« für alle Beziehungen, die irgendwann aufhören, außer für jene, die durch den Tod der Partnerin oder des Partners beendet werden. Dabei hat jede unserer Beziehungen ihre Zeit. Liebesbeziehungen, Freundschaften, berufliche Verbindungen – die meisten davon spielen nur eine begrenzte Zeit eine Rolle in unserem Leben. Weniger als fünfzig Prozent der Ehen halten, bis eine Partnerin oder ein Partner stirbt. Und auch wer eine solche Ehe führte, hatte vorher höchstwahrscheinlich schon andere Liebesbeziehungen. Selbst Eltern-Kind-Beziehungen verändern sich über die Zeit, verlieren an Intensität. Es ist also merkwürdig, dass wir, obwohl die meisten unserer Beziehungen enden, sie dann tendenziell als gescheitert betrachten. Halten wir denn fast alle unsere Beziehungen für Fehlschläge? 

Weil wir uns so verhalten, als ob Beziehungen nicht enden dürften, werden Trennungen zu Tragödien. Eine Trennung gilt als Eingeständnis und Höhepunkt des Scheiterns. Und aus diesem Grund haben wir auch das Gefühl, weder eine gute Trennung noch das Bewahren dessen, was an einer Beziehung wertvoll war, sei besonders erstrebenswert. Die Beziehung hat sich doch schon als Zeitverschwendung erwiesen, eben weil sie beendet wurde, wie gut auch immer sie einmal gewesen sein mochte. Und weil eine Trennung per se katastrophal ist, darf man sich dabei auch katastrophal schlecht verhalten: den andern im Stich lassen, verraten, ultimativ verletzen. Diese katastrophische Herangehensweise wird in Filmen, Romanen und Opern wiederholt und weitergetrieben. Dabei wird vergessen: Ein solch verzerrendes Denken ist schlecht für alle Beteiligten. Wir sollten eine Beziehung lieber als etwas betrachten, das natürlicherweise einen Anfang, eine Mitte und ein Ende hat, und ihr Ende sollten wir als Teil ihres Werts und nicht als eine Entwertung ansehen.

 

Wagen wir einen Vergleich. Jedes Leben ist endlich, es endet mit dem Tod. Vor der Hospizbewegung der 1960er Jahre kümmerten sich Medizin und Gesundheitsfürsorge nicht um das Sterben. Die Medizin sollte die Menschen nach Möglichkeit am Leben erhalten. Einen Menschen sterben zu lassen, galt als medizinisches Scheitern. Mussten sich Ärzt:innen einmal damit abfinden, dass der Tod nicht abzuwenden war, ließen sie die Patient:innen im Stich; das Sterben fiel nicht in ihren Zuständigkeitsbereich. Die Hospizbewegung um Dame Cicely Saunders appellierte an den medizinischen Berufsstand, das Sterben als einen notwendigen Teil des Lebens aufzufassen. Die Bewegung machte ihre Vorstellung vom guten Tod publik und legte dem Berufsstand die Verpflichtung auf, mit dem Tod bewusst umzugehen, statt ihn nur abzuwehren. Das war eine maßgebliche Veränderung in der Auffassung von der Bedeutung des Sterbens: Zum ersten Mal betrachtete man es als etwas, das Fürsorge braucht, und nicht als das Ende jeglicher Fürsorge. Der Tod ist für uns alle unvermeidbar, und die Hospizbewegung hat uns gelehrt, dass es ein medizinischer Erfolg ist, Sterbende sicher, in Würde und auf eine Weise, die ihren Werten und ihrer Identität selbst in dieser Situation entspricht, gehen zu lassen. Patient:innen aufzugeben, wenn sie sterben, ihnen zu sagen, man könne nichts mehr für sie tun, heißt, sie im Stich zu lassen. Das ist ein medizinisches Scheitern.

Weil wir uns so verhalten, als ob Beziehungen nicht enden dürften, werden Trennungen zu Tragödien.

Eine ähnliche Herangehensweise sollten wir beim Ende von Beziehungen berücksichtigen. Ich schlage daher eine Neubewertung von Beziehungen als grundsätzlich zeitlich begrenzt vor, als etwas mit einem individuellen Ende, genauso wie jedes Leben sein besonderes Ende hat. Eine Beziehung, die ihr Ende gefunden hat, ist genauso wenig gescheitert oder wertlos wie ein Leben, das endet. Eine gute Trennung ist wie ein guter Tod. In ihr drücken sich Respekt, Würde und ein sorgsamer Umgang mit Schmerzen aus. Die individuelle Bedeutung der zu Ende gehenden Beziehung wird geachtet und nicht zerstört und verleugnet. Fürsorge wird gespendet und nicht abgegeben oder eingestellt. Wenn man eine gute Trennung wie einen guten Tod durchlebt, kann man das eigene Leid und das des andern verringern, um so weder vor der Vergangenheit noch vor der Zukunft dieser Beziehung die Augen verschließen zu müssen. Man bleibt sich treu und vermeidet, dass einem das eigene Selbst entgleitet. Auch wenn das Ende einer Beziehung zutiefst enttäuschend ist, weil man sich mehr erhofft hat, bedeutet das nicht, dass die Beziehung gescheitert ist, genauso wenig wie Trauer im Angesicht des Todes den Wert des Lebens verneint. Wir wünschen uns oft, dass etwas Schönes länger andauert, als es möglich ist. Aber auch wenn wir traurig sind, dass etwas zu Ende geht, so hat es verdient, dass wir es gut beenden.

Eine Beziehung gut zu beenden, gehört zur Beziehungsarbeit dazu. Wenn wir das Ende einer Beziehung als integralen Bestandteil ihrer Erzählung auffassen, dann sollten wir dafür sorgen, dass dieses Ende mit den Werten und der Geschichte, die die Beziehung als Ganzes definieren, in Einklang bleibt und nicht einen Bruch herbeiführt, indem plötzlich andere Regeln gelten. Und selbst für Beziehungen, die bis zum Tod andauern, ist es besser, wenn am Schluss Raum und Mittel zur Verfügung stehen, sich gut und angemessen voneinander verabschieden zu können. Das Ende einer Beziehung ist ihr letzter Akt, und wenn dieser letzte Akt misslingt, kann die gesamte Erzählung entstellt werden. 

Eine gute Trennung ist wie ein guter Tod. 

Eine schlechte Trennung ist nicht in eine Beziehung zu integrieren. Durch verletzendes Verhalten, Verrat oder Rückzug sprengt sie die Beziehung, statt mit ihr in Übereinstimmung zu sein. Deswegen kann »Ghosting« – ohne ein weiteres Wort zu verschwinden – solche Verwüstungen anrichten. Der letzte Akt wird auf diese Weise einfach abgeschnitten, von der Beziehung abgetrennt, ohne sie zu einem Ende zu führen, ohne ihren Wert und ihre narrative Form zu berücksichtigen. So als würde medizinisches Fachpersonal seine Patient:innen einfach töten, sobald es herausgefunden hat, dass jemand sterben wird. (Es gibt aber auch Fälle, in denen »Ghosting« die einzige Möglichkeit zum Selbstschutz ist, beispielsweise wenn eine Person eine andere nicht ohne missbräuchliches und verletzendes Verhalten gehen lassen will.) Aber selbst wenn eine Beziehung schlecht oder abrupt endet, liegt das Scheitern nicht in der Tatsache, dass, sondern wie sie beendet wurde.

Warum betrachten wir Trennungen überhaupt als ein Scheitern und Beziehungen als wesentlich unendlich? Die sogenannte »Beziehungsrolltreppe«, ein Begriff, den die amerikanische Autorin Amy Gahran 2012 unter dem Pseudonym »Aggie Sez« geprägt hat, ist hierfür ein nützliches Denkbild. Dahinter steht der Gedanke, dass in unserer Kultur die tief verwurzelte Vorstellung von einer vorgegebenen Richtung existiert, von einem vorgezeichneten Weg für Liebesbeziehungen hin zu immer größerer Nähe, engerer Verbindung und immer größeren ökonomischen Investitionen – nach den ersten Verabredungen folgt die Verpflichtung zur Monogamie, dann eine gemeinsame Wohnung, schließlich werden Einkünfte zusammengelegt und die Dreieinheit Ehe, Kinder, Wohneigentum erreicht. Ab diesem Höhepunkt soll die Beziehung nun statisch bleiben und bis zum Tod halten. Auf dieser Rolltreppe haben auch immer nur zwei Menschen gleichzeitig Platz. Jeder Versuch, unterwegs auszusteigen – zum Beispiel aus der gemeinsamen Wohnung auszuziehen und getrennt zu wohnen –, signalisiert ein Scheitern der Beziehung. Wenn man einmal die Spitze erreicht hat, sind ein Anhalten der Rolltreppe oder ein Abweichen vom Weg nicht mehr vorgesehen. Die Rolltreppe ganz zu verlassen, um der Beziehung eine neue Form zu geben, ist keine Option. Die einzige Möglichkeit, die Rolltreppe zu verlassen, ist das Herunterfallen und somit das Scheitern. Wer fragt: »Wohin führt diese Beziehung?«, will eigentlich wissen, ob man sich auf der Rolltreppe befindet und, wie es sich gehört, nach oben fährt oder andernfalls seine Zeit verschwendet. Für Freundschaften, Arbeitsbeziehungen und andere Nahbeziehungen existieren ähnliche, wenn auch weniger rigide und gesellschaftlich hervorstechende Beziehungsrolltreppen.

Die Dauer einer Beziehung ist kein Indikator für ihren Wert.

Was hat all das mit Trennungen zu tun? Gahran erklärt es griffig: »Da die Ehe (oder ihre Entsprechungen) den höchsten Punkt der Rolltreppe darstellt, kann es gar keinen guten Weg abwärts geben. Unsere Gesellschaft leidet folglich unter einem Mangel an Modellen, nach denen Beziehungen transformiert oder gut abgeschlossen werden können. … Hätten wir bessere Modelle für das Beenden oder Verändern von Beziehungen, würden wir uns darin weiterentwickeln, mehr gesellschaftliche Unterstützung erfahren, und somit auch weit weniger Schaden anrichten.« Zwei wichtige Dinge fallen mir hier auf: Zum einen produziert die Beziehungsrolltreppe selbst Trennungen, da jede Beziehung, die nicht glatt dieses Modell durchläuft, als wertlos angesehen wird und sie es somit auch nicht wert zu sein scheint, fortgesetzt zu werden. Zweitens werden alle Beziehungen als per se endlos angesehen. Ist man einmal auf der Rolltreppe, soll man nicht mehr herunter. Und ist man oben angekommen, hat man dort zu bleiben. Daher bietet uns das Rolltreppenmodell keinen anderen Schlusspunkt an als eine Art Stau, in der die Beziehung in der Zeit zu verharren hat. Es gibt uns kein Werkzeug an die Hand, zeigt uns keine Vision für den Abschluss einer Beziehung. 

Aus welchem Grund aber sollte es für unsere Beziehungen, selbst für unsere wertvollsten und wichtigsten, nur diese eine vorgefasste Form und diesen einen Rhythmus geben? Wir sollten doch ­stattdessen die große Bandbreite der unterschiedlichsten guten Beziehungen zu schätzen wissen und ihre Abwärtsbewegung genau wie ihre Fahrt nach oben als Teil ihrer strukturellen Beschaffenheit zulassen. Die Dauer einer Beziehung ist kein Indikator für ihren Wert. Es gibt viele lange, stabile und gleichzeitig schreckliche Beziehungen voller Missbrauch, Respektlosigkeit und Verletzungen und genauso viele erfüllende, aufregende und bereichernde kurze. Vielleicht sollte man sich ein Beispiel an der Eltern-Kind-Beziehung nehmen, der (in den meisten Fällen) das Ziel, einander mehr und mehr loszulassen – liebend, respektvoll und ohne Brüche, Abwendung oder Traumata – von Anfang an innewohnt. In Beziehungen wie im übrigen Leben ist Endlichkeit nämlich die Regel und kein Unfall. 

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