Jeder Mensch ein Sofa

Text von Whitney Mallett
Kunst von Claire Milbrath

Lesedauer: 4 Min.

Es ist ein Tabu, sexuell unterwürfig zu sein. Gar nicht von Beziehungen zu reden. Das kollektive Ideal von zwischenmenschlichen Beziehungen scheint kein Machtgefälle zu akzeptieren. Was aber, wenn ein Mensch das möchte? Welche Konflikte zutage treten, wenn man dominiert werden will.

Auf einem T-Shirt meines Ex steht: »strong women beat arrogant men« (»Starke Frauen schlagen arrogante Männer«) und ein anderes trägt die Aufschrift: »a hard woman is good to find« (»Es ist gut, eine harte Frau zu finden«). Kein Wunder also, dass ihn meine Unterwerfungssehnsucht überhaupt nicht begeisterte. Einmal spielte er »A Man Needs a Maid« von Neil Young. Ein Wink mit dem Zaunpfahl: alles, bloß kein Dienstmädchen! Das war eines Morgens nach einer Party in seinem Loft. Ich war vor ihm aufgestanden, um sauber zu machen, zu fegen, Bierdosen und Flaschen wegzubringen. Nicht gerade die Reaktion also, auf die ich gehofft hatte.
1981 veröffentlichte Colette Dowling »Der Cinderella-Komplex. Die heimliche Angst der Frauen vor der Unabhängigkeit«, ein Bestseller, in dem auf vielschichtige Weise den emotionalen Nebenwirkungen der Frauenbewegung nachgegangen wird. Die Autorin berichtet, wie sie in den frühen Siebzigern, »optimistisch gestimmt vom Kampfgeist der Zeit«, ihren Mann verlassen hatte, und wie dann innerhalb eines Jahres die Hälfte der Frauen aus ihrem Bekanntenkreis das Gleiche getan hatte. »Es auf eigene Faust schaffen: Geld verdienen, Rechnungen bezahlen, sich ein neues soziales Umfeld aufbauen.« Aber obwohl die Schubkraft einer politischen Bewegung ihnen neue Möglichkeiten bot, finanziell unabhängig zu werden, waren viele psychisch überfordert. Dowling zeichnet ein Bild von »Frauen, die mit ihren Abhängigkeitsgefühlen schwer haderten«. Ich selbst fühle mich noch drei Jahrzehnte später zerrissen, bin nicht sicher, was ich wirklich will.

strong women beat arrogant men
a hard woman is good to find

 

Meine Mutter sagt, mein erster Satz sei »Das kann ich selbst« gewesen. Von den Spice Girls und Destiny’s Child wurde mir schon früh Empowerment eingetrichtert. Und im Pandemiezeitalter war ich fast durchgehend Single. Ich hielt mich also für eine starke, unabhängige Frau, und landete dann in einer Beziehung, in der ich für mein offensichtliches Bedürfnis nach Kontrolle kritisiert wurde. Im Sanrio-Store fragte ich einmal meine Corona-Liebschaft, ob ich eine bestimme Sorte Hello-Kitty-Kekse kaufen solle. Ich bekam keine Antwort und legte die Kekspackung zurück ins Regal. Als unsere Beziehung später auf der Kippe stand, wurde mir ein Strick daraus gedreht; nämlich, dass ich jemanden brauchen würde, der mir sagt, wo es langgeht.
Letztens, nachts, zurück in meiner Wohnung, kniete ein anderer Typ vor mir auf dem Boden und öffnete den Reißverschluss meiner Stiefel. Männer dazu zu bringen, etwas für einen zu tun, ist in Zeiten von »Venmo-Feminismus«1 und »Simping«2 etwas Progressives und nicht der Beweis für die eigene Schwäche oder Inkompetenz. Es zeugt eher von meiner Macht über sie. Bis jetzt hat mir aber noch kein Mann angeboten, meine Miete oder meine Rechnungen zu bezahlen. Aber ich bin zuversichtlich, dass mein »Finsub«3 eines Tages kommen wird. 

Ich will von Natur aus gefallen. Vielleicht ist das aber auch anerzogen. Wie auch immer, diese Wesensart ist anscheinend weder mir noch anderen förderlich. Eigentlich denkt man ja, mit unkompliziertem Verhalten anderen einen Gefallen zu tun – »Lass uns essen, was dir schmeckt, dort hingehen, wo es dir gefällt«. Es kann für die andere Person aber auch eine Last sein, ständig entscheiden zu müssen. Ich versuche also fordernder zu sein – aber man muss schon wissen, was genau man will, um es einfordern zu können. Und das zu wissen, ist oft das Schwierigste.
Manche wollen diese Eigenverantwortung bewusst nicht übernehmen. Und es kann eine mutige Entscheidung sein, nichts entscheiden zu wollen. Einmal habe ich eine Folge einer Doku-Serie über ein Ehepaar aus Tennessee gesehen, die »dominanter Papa und sein kleines Mädchen« spielten. Beide sind erwachsen, und es geschieht in gegenseitigem Einvernehmen. Er ist fünfunddreißig, sie siebenundzwanzig und verhält sich tagsüber wie ein Kleinkind. Wenn sie nicht folgsam ist, wird sie von ihrem Ehemann bestraft, mit einem Stock oder einem Holzpaddel versohlt. Die Frau erklärte dem Interviewer: »Er ist mein Papa und mein Beschützer. Ich brauche ihn.«

 

Ob es also um unseren Planeten oder um unsere zwischenmenschlichen Beziehungen geht: Wir müssen zu einem Gleichgewicht und zu gegenseitiger Fürsorge finden.

Die Pandemie hat uns gezeigt, wie abhängig wir voneinander sind. Während der Lockdowns mussten wir mit Einsamkeit und Gelegenheitssex zurechtkommen und merkten, wie sehr uns emotionale Nähe und Intimität fehlten. Außerdem führte uns das Virus vor Augen, dass unsere Handlungen ganz reale und sogar tödliche Auswirkungen auf andere haben können. Obwohl der nach dem Märchen und seinen Adaptionen – Oper, Ballett und Disneyfilm – benannte Cinderella-Komplex den Teil der Geschichte hervorhebt, der von einer Frau handelt, die passiv auf ihren rettenden Prinzen wartet, bietet die Geschichte in all ihren Verzweigungen eigentlich ein viel interessanteres Modell für Abhängigkeiten. Cinderella braucht nicht bloß einen reichen Typen, um ihre Situation zu verändern, auch die gute Fee ist wichtig; oder in der Fassung der Brüder Grimm das Bäumchen, über das sie ihre Bedürfnisse erst offenbaren kann. Und immer wieder kommuniziert Cinderella mit Vögeln und anderen kleinen Wesen, wodurch der wechselseitige Nutzen einer Interspezies-Kommunikation sowie unsere Abhängigkeit von einem übergeordneten Ökosystem verhandelt werden.
Ob es also um unseren Planeten oder um unsere zwischenmenschlichen Beziehungen geht: Wir müssen zu einem Gleichgewicht und zu gegenseitiger Fürsorge finden. Menschen brauchen unterschiedliche Arten von Zuwendung. Aber auch das, was wir brauchen, ist in ständigem Wandel, verändert sich je nach Kontext oder hängt davon ab, wie wir unsere eigene Vergangenheit verarbeitet haben. Wer als menschliches Möbelstück4 behandelt werden oder in die Rolle einer »Tradwife«5 schlüpfen will, der sollte diese Freiheit haben. Im Augenblick versuche ich, meine eigene Form zu finden, und nicht nur den Raum auszufüllen, den irgendwer für mich vorbereitet hat.

Dieser Artikel ist thematisch an die Produktion Die Frau ohne Schatten der Bayerischen Staatsoper angelehnt.


1 Wenn Männer ihr Vermögen per digitaler Zahlung an Frauen umverteilen.
2 Internetslang für jemanden, der übertrieben viel für eine andere Person tut.
 Abkürzung für »Financial submissive«, eine Person, die jemanden sucht, der ihr Geld kontrolliert oder an sich nimmt.
4 Wenn der Körper einer Person, meist zur sexuellen Stimulation, als Tablett, Fußhocker, Stuhl, Tisch, Schrank o. Ä. benutzt wird. 
5»Traditional wife«: eine postironische Gender-Performance, die die Frau auf ihren Platz im Haus verweist.

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