Der Liebeszinken

Text: Martina Borsche
Illustration: Patty Spyrakos

Lesedauer: 7 Min.

Momentan ist sie meistens versteckt. Sie ist zu großen Teilen aus dem öffentlichen Leben verschwunden. Es geht um die Nase. Was entgeht uns alles an Duft, an Gerüchen, an Gestank und allgemein an Wahrnehmung, wenn wir unsere Nasen derzeit vielerorts mit Masken abdecken? Und welche Rolle spielt die Nase in der Liebe und vor allem im Finden der Liebe?

Wie es wäre, blind zu werden oder unser Gehör zu verlieren, können sich die meisten Menschen ansatzweise vorstellen. Aber den Geruchssinn zu verlieren? Viele eindrückliche Reportagen haben in den vergangenen Monaten gezeigt, wie schwer es für die Menschen ist, die etwa durch eine Corona-Infektion den – hoffentlich vorübergehenden – Verlust ihres Riechsinnes erlitten haben. Ich muss zugeben, in den Jahren zuvor habe ich dem Organ, das im Leben vielleicht die entscheidendste Rolle spielt, möglicherweise nicht genügend Respekt erwiesen: der Nase. Mitten im Gesicht sitzt sie bei uns allen, mal ist sie groß, mal klein, mal ein wenig schief, mal stupsig, mal knollig. Doch neben der individuellen Optik und der Dauertätigkeit des Luftholens kann sie noch so viel mehr – dabei bleibt das allermeiste, was wir riechen, unbewusst.

Geruchsinformationen fließen von unserer Nase zum Gehirn, wo sie Emotionen und Erinnerungen wecken können. Eine Billion verschiedene Gerüche können Menschen via Geruchssinn unterscheiden. Gerüche warnen uns vor Gefahr wie etwa vor Rauch, sie geben uns Hinweise auf leckeres Essen, und, vielleicht die wichtigste Funktion: Sie zeigen uns an, wen wir mögen. Das ist die zutiefst soziale Komponente der Nase. Babys erkennen schon ab dem zweiten Lebenstag den Geruch ihrer engsten Bezugsperson. Jeder Körper hat einen einzigartigen Duft, ähnlich wie ein Fingerabdruck, und es scheint, dass der Körpergeruch eine große genetische Komponente hat. 
 

ES WÄRE WOHL UNHÖFLICH, SICH BEIM SMALLTALK NACH DER DNA EINER PERSON ZU ERKUNDIGEN, ABER VIELLEICHT SOLLTEN WIR ES.

 

Die meisten Menschen können einen Typ benennen, zu dem sie sich sexuell hingezogen fühlen – meist aufgrund äußerlicher Merkmale. Doch anscheinend folgen wir häufig einfach unserer Nase, die uns die beste genetische Übereinstimmung anzeigt. Verantwortlich dafür ist Wissenschaftler:innen zufolge unser individueller Haupthistokompatibilitätskomplex, das sogenannte HLA-System, das eng verbunden mit unserem Immunsystem und unserem Körpergeruch ist. Schon in den 1990er Jahren haben Studien von Manfred Milinski, jetzt Direktor am Max-Planck-Institut für Evolutionsbiologie in Plön, mit sogenannten T-Shirt-Experimenten ergeben, dass Frauen die T-Shirts mit dem Körpergeruch von Männern, deren Immungene sich deutlich von ihren eigenen unterschieden, bevorzugten. Aber wie können wir über den Geruch einen genetischen Fingerabdruck wahrnehmen? Das liegt an den Peptiden, sagt Milinski. Was unter einem Mikroskop wie ein Haufen lustiger Fäden aussieht, sind Bruchteile von Proteinen, die unser Körper ausscheidet. Geruchsforscher Milinski erklärt es so: »Unser HLA ist dafür zuständig, Krankheitserreger zu erkennen und zu entfernen. Dazu erzeugt es Moleküle und jedes ihrer Moleküle kann nur ganz bestimmte Peptide greifen und transportieren. Diese Peptide, die im Körper irgendwo ankommen und ausgeschieden werden, sind exakt die, die von ihren eigenen Molekülen transportiert worden sind. Das heißt, man kann von den Peptiden auf die Genvarianten schließen.«

Die Peptide also zeigen uns den genetisch perfekten Partner an. Das Versprechen: Nachkommen mit leistungsfähigem Immunsystem. Aber eine zu große Variation des HLA könnte Milinski zufolge tatsächlich auch wiederum nicht so gut sein. Unsere Nase ist also auf einer Mission, die perfekte Balance zwischen unserem HLA und dem unseres Partners zu finden. Ihre Optionen sind nahezu grenzenlos, denn es gibt Millionen von einzigartigen Kombinationen des HLA-Systems. Steht jedoch nur eine kleine Auswahl an Partner:innen zu Verfügung, suchen wir uns die nächstbeste Übereinstimmung aus. Milinski bezeichnet dies als »best of bad job«.

 

 

 

Nicht nur die angenehmen Gerüche nimmt unsere Nase wahr. Auch Krankheiten kann sie riechen. Vielleicht nicht so spezifisch wie die Corona-Spürhunde, die eine Infektion noch vor den ersten Symptomen zuverlässig erschnüffeln, und übrigens auch andere schwere Erkrankungen wie Krebs und Malaria erkennen können. Aber auch unsere menschliche Nase warnt uns vor Erkrankungen. Wissenschaftler:innen am Karolinska Institutet in Schweden konnten beweisen, dass Menschen allein am Körpergeruch erkennen konnten, wer Anzeichen einer Infektion aufwies.

Die Nase schützt und beeinflusst unser Leben - weibliche Nasen sogar noch differenzierter: Die amerikanische Wissenschaftlerin Pamela Dalton vom Monell Chemical Senses Center in Philadelphia hat gemeinsam mit Kolleg:innen herausgefunden, dass weibliche Studienteilnehmerinnen weitaus besser in der Lage waren, Gerüche wahrzunehmen. »Frauen müssen wählerisch sein. Männer können es sich leisten, in ihren Entscheidungen weitaus promiskuitiver zu sein. Wir können viele Merkmale durch die Hinweise im Körpergeruch erkennen, und Frauen sind dafür äußerst empfindlich«, erläutert Dalton.

Scheinbar kann die Nase sogar erschnüffeln, ob die andere Person Single ist. Besonders intensiv strahlt der Körpergeruch alleinstehender Männer auf heterosexuelle Frauen im gebärfähigen Alter aus. Auch ihre Gesichter wirkten dann männlicher auf die Studienteilnehmerinnen. Um dieses unbewusste Schnüffeln leisten zu können, hat die durchschnittliche Frau weitaus mehr Zellen im Riechkolben als der durchschnittliche Mann: 16,2 Millionen im Vergleich zu seinen 9,2 Millionen. Die weibliche Nase trägt wesentlich dazu bei, dass Frauen die beste genetische Entscheidung treffen können. Und wie geht eine homosexuelle Nase im Vergleich zu einer heterosexuellen mit dem Matchmaking um? »Die simple Antwort ist: genauso«, sagt Milinski. »Wir suchen immer nach unserem besten genetischen Partner.« Unsere Nase ist auf unsere persönlichen Bedürfnisse abgestimmt und auf das, was wir von einem Partner brauchen, nicht nur physisch, sondern auch emotional. »Der emotionale Zustand und sicherlich auch die körperliche Gesundheit verändern den Körpergeruch der Menschen in einer geringen Weise, die aber dennoch genügt, dass wir sie wahrnehmen können, und dies kann auch als Motivation dienen, entweder mit dieser Person zusammen zu sein oder nicht«, so Dalton.

 

 

The science of attraction - Dawn Maslar

Riechen wir also, wie wir riechen, schlecht gelaunt, kränkelnd und mit dem Immunsystem, das wir nun mal haben? Oder lässt sich der olfaktorische Fingerabdruck maskieren? Kurz gesagt: Nein. Dalton führte noch eine weitere Studie durch, in der den Proband:innen durch kleine Elektroschocks die Angst vor einem bestimmten Körpergeruch antrainiert wurde. Derselbe Körpergeruch, durch Parfüm bedeckt, erweckte in den Probanden immer noch dieselbe negative Reaktion. Zudem wurde festgestellt, dass Antitranspirant den Geruch wirksam unterdrückt, aber nur im Auftragungsbereich. In einer realen Lebenssituation wären wir immer noch in der Lage, den Geruch einer Person an Stellen zu riechen, die nicht durch ein Deo blockiert sind. Man könnte aber jemanden, der uns vielleicht optisch erst einmal nicht überzeugen kann, durch die richtige Mischung von Peptiden attraktiver machen. »Wenn der Geruch passt, dann spielt das andere keine Rolle«, sagt Milinski. In seinen Forschungen mit Fischen fand er heraus, dass ein Stichlingsweibchen durch die Zugabe von für sie optimalen Peptiden im Wasser sich in ein zuvor unerwünschtes Stichlingsmännchen »verliebt«. Und auch für menschliche Nasen sind feuchte Biotope das richtige Umfeld, denn die Moleküle bewegen sich durch Wasser besser weiter. Geruchsfreundliche Atmosphäre bieten demnach besonders neblige Gegenden wie etwa London. Dort nehmen empfindliche Nasen vielversprechende Ausdünstungen schon auf zehn Meter Entfernung wahr. Ansonsten sind geruchsintensive Umgebungen ausgerechnet die, an denen wir uns in den vergangenen anderthalb Jahren nicht aufhalten konnten: Milinski empfiehlt, tanzen zu gehen, um den Duft anderer Menschen optimal aufzunehmen. Lasst uns also auf die Wissenschaft hören und in verschwitzten Clubs die Fährte aufnehmen, sobald die Pandemielage es erlaubt! Und auch ansonsten der Nase folgen. Jeder seiner eigenen, versteht sich.

Dieser Artikel ist thematisch an die Produktion Die Nase der Bayerischen Staatsoper angelehnt. 

Wie gefällt Ihnen der Artikel?

141 Reaktionen